„Die Pflegebranche braucht ein besseres Image“

Renatus Döring ist Schulleiter der Berufsbildenden Schulen (BBS) in Einbeck. Im Interview spricht er über schrumpfende Schülerzahlen, fehlende Lehrer und das sinkende Interesse an der Altenpflegeausbildung.


Schulleiter Renatus Döring sagt: "Jahr für Jahr haben wir 3.500 Schüler weniger an den Berufsbildenden Schulen in Niedersachsen. Das entspricht einer großen BBS."

Als weiterführende Schule stehen Sie im Wettbewerb um eine kleiner werdende Zahl von Schülern. Wie gehen Sie damit um?
Wir müssen exzellenten Unterricht bieten, um uns zu behaupten. Darum fragen wir unsere Schüler regelmäßig nach ihrer Meinung – wir wollen wissen, wie zufrieden sie bei uns sind. Auch jeder einzelne Lehrer bekommt einmal im Jahr ein Zeugnis von seiner Klasse. Wenn es irgendwo hakt, dann schaut die Schulleitung genauer hin, um die Probleme zu lösen. Darüber hinaus bemühen wir uns um ein Klima der Wertschätzung, in dem sich die Schüler wohl fühlen. Und: Wir legen Wert auf eine gute Schulsozialarbeit, die zum Beispiel bei Suchtproblemen oder Schwierigkeiten in der Familie hilft. Offenbar sind wir mit diesem Konzept recht erfolgreich. In den Schüler-Befragungen zeigt sich eine hohe Zufriedenheit. Auch bei unserer Bewerbung um den Deutschen Schulpreis 2017 haben wir hervorragend abgeschnitten.

Reicht das, um die Schülerzahlen stabil zu halten?
Wir haben gegenwärtig rund 1.250 Schüler. Das sind mehr als vor zehn Jahren, allerdings 50 weniger als im letzten Jahr. Der Grund liegt vor allem in den sinkenden Schülerzahlen in ganz Niedersachsen. Jahr für Jahr haben wir 3.500 Schüler weniger an den Berufsbildenden Schulen in Niedersachsen. Das entspricht einer großen BBS.

Wie geht es weiter?
In den nächsten fünf bis zehn Jahren müssen wir uns noch auf eher sinkende Schülerzahlen einstellen. Zuletzt gab es zwar bei den Geburten eine leichte Entwicklung nach oben, aber es dauert nun einmal 15 Jahre, bis diese Schüler zu uns kommen.

In einer alternden Gesellschaft müsste die Pflegeausbildung eigentlich boomen. Wie ist die Situation bei Ihnen?
Der Bedarf ist definitiv da. Die Pflegeeinrichtungen wären auch bereit, zusätzliche Praxis-Plätze bereitzustellen. Allerdings ist das Interesse auf Schülerseite eher zurückgegangen. Junge Menschen haben heute einfach auch viele andere Optionen. Deshalb bieten wir weiterhin nur eine Altenpflege-Klasse mit etwa 20 Schülern an.

Arbeitsplätze in der Pflege gelten als schlecht bezahlt – ist das der Hauptgrund für das geringe Interesse?
Das Argument betrifft eher die ausgebildeten Fachkräfte. Während der Ausbildung verdienen Pflegekräfte ordentlich – die meisten erhalten im ersten Ausbildungsjahr zwischen 700 und 800 Euro im Monat. Das ist im Vergleich zu anderen Branchen durchaus konkurrenzfähig. Wir stellen allerdings fest, dass die Ausbildungsqualität in den Einrichtungen zum Teil sehr unterschiedlich ist. Schlechte Rahmenbedingungen in einigen Einrichtungen führen zu einem verbesserungsbedürftigen Image der gesamten Branche.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Wir erleben es gelegentlich, dass Schüler in der ambulanten Pflege im ersten Ausbildungsjahr allein zu den Pflegebedürftigen geschickt werden, sobald sie den Führerschein haben. Eine vernünftige Einarbeitung findet manchmal nicht statt. Eigentlich müssten die Schüler während ihrer Ausbildung mit einer Fachkraft unterwegs sein. Natürlich gibt es auch in der Pflege gute Arbeitgeber. Aber die Probleme sind nicht zu übersehen.

Was tun sie, um den Schülern zu helfen?
In unserem Einzugsgebiet befinden sich rund 70 Pflegeeinrichtungen. Mit vielen davon sind wir im Gespräch. Wir machen ihnen klar, dass sie als Ausbildungsbetrieb eine Verpflichtung gegenüber ihren Schülern eingehen. Die Pflegebranche braucht definitiv ein besseres Image, wenn sie in Zukunft genügend Mitarbeiter finden will. Allerdings ist nicht nur der Nachwuchs knapp. Es mangelt auch an Lehrern für die Pflegeklassen. In Niedersachsen gibt es derzeit nur einen einzigen Studienort für Pflegewissenschaft – in Osnabrück. Wer dort seinen Abschluss macht, der zieht meist ins westliche Niedersachsen, nach Bremen oder Hamburg. Südniedersachsen haben die meisten Absolventen nicht auf dem Radar.

Wie geht es weiter mit der Pflegeausbildung?

Ab 2020 gibt es eine einheitliche Ausbildung für Altenpfleger, Krankenpfleger und Kinderkrankenpfleger. Befürworter sehen das als Chance, die Arbeit in der Altenpflege aufzuwerten. Allerdings könnte die Reform auch nach hinten losgehen, falls noch mehr Fachkräfte die Altenpflege verlassen, um in die vermeintlich attraktivere Krankenpflege zu wechseln. Welcher Effekt überwiegt, lässt sich heute noch nicht sagen.  

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