„Ohne zusätzliche Mitarbeiter müssen wir immer mehr Aufträge ablehnen“

Mit dem demografischen Wandel werden die Arbeitskräfte rar – gerade auf dem Land. Das stellt auch Mark-Oliver Müller fest, Geschäftsführer der Digitalagentur Alto aus Salzderhelden. Im Interview spricht er über die schwierige Suche nach Verstärkung, selbstbestimmtes Arbeiten und Personalrekrutierung im Ausland. Müller sagt: "Der Fachkräftemangel ist inzwischen Alltag in vielen Branchen – vom Handwerk bis zu den Dienstleistungen."

Alto-Geschäftsführer Mark-Oliver Müller: "In der Informatik trifft ein sinkendes Angebot auf eine riesige Nachfrage. Viele Studenten werden schon vor ihrem Abschluss von großen Konzernen angeworben."

Wie sieht die Personalsituation bei Alto aus?
Wir haben 18 Mitarbeiter und 5 offene Stellen – fast ein Viertel unserer Jobs sind also unbesetzt. Wir suchen dringend Verstärkung im Screendesign, in der Webentwicklung sowie im Vertrieb. Außerdem würden wir gern einen Auszubildenden zum Fachinformatiker einstellen. Leider finden wir bislang keine geeigneten Kandidaten. Und ohne zusätzliche Mitarbeiter müssen wir in Zukunft leider immer mehr Aufträge ablehnen. Das ist mehr als unbefriedigend.

Geht es anderen Unternehmen auch so oder liegt es an Ihnen?
Das habe ich mich natürlich auch gefragt. Ich habe festgestellt: Der Fachkräftemangel ist inzwischen Alltag in vielen Branchen – vom Handwerk bis zu den Dienstleistungen. Er trifft nicht nur Einbeck oder Northeim, sondern zum Beispiel auch Unternehmen aus Göttingen, die es früher leicht hatten, gute Leute zu finden. Auch große Arbeitgeber sind betroffen.

Woher kommt das Problem?
Zum einen hat es mit der schrumpfenden Bevölkerung zu tun – die Jahrgänge der Schulabgänger und Uniabsolventen werden kleiner, sodass uns weniger Nachwuchs zur Verfügung steht. Zum anderen liegt es an der mangelnden Anziehungskraft unserer Region. Selbst Göttingen wirkt auf viele Kandidaten zu klein und provinziell. In der Informatik kommt hinzu, dass ein sinkendes Angebot auf eine riesige Nachfrage trifft. Viele Studenten werden deshalb schon vor ihrem Abschluss von großen Konzernen angeworben.

Was tun Sie, um trotzdem Personal zu gewinnen?
Wir haben ein System eingeführt, das unseren Mitarbeitern eine optimale Work-Life-Balance ermöglicht. Vereinfacht gesagt: Bei uns kann jeder selbst entscheiden, wann er arbeitet, wo er arbeitet und wieviel er arbeitet.

Das müssen Sie erklären...
Unsere Mitarbeiter bestimmen selbst, ob sie ins Büro kommen oder von zuhause arbeiten. Es stört uns auch nicht, wenn jemand lieber abends als tagsüber arbeitet. Wir achten nur darauf, dass jeder an mindestens drei bis vier Tagen pro Monat in der Agentur präsent ist, denn ganz ohne persönlichen Kontakt verliert man sich früher oder später aus den Augen. Alle sechs Monate kann außerdem jeder Mitarbeiter seine individuelle Wochenarbeitszeit für das kommende halbe Jahr festlegen – zwischen 15 und 48 Stunden. Und zuletzt entscheidet jeder Mitarbeiter eigenverantwortlich, wie viele Urlaubstage er für angemessen hält.

Wie ist Ihre Erfahrung damit?
Die großen Freiheiten kommen natürlich gut an. Allerdings haben wir auch festgestellt, dass nicht jeder Mensch für die Arbeit von zuhause geschaffen ist. Dort kann es nämlich sehr einsam sein, da hilft auf Dauer auch kein Videostream ins Büro. Kommt dann noch eine weite Entfernung zwischen Agentur und Wohnort hinzu, tritt leicht eine Entfremdung ein. Wir haben das mit einem hochqualifizierten Mitarbeiter erlebt, der aus privaten Gründen nach Düsseldorf umgezogen ist. Ein Jahr hat er noch im Homeoffice für uns gearbeitet, dann wurde es ihm dort zu einsam und er hat gekündigt. Sehr bedauerlich.

Welchen Ausweg aus dem Personalmangel sehen Sie?
Eine Möglichkeit ist sicherlich die Mitarbeitersuche im Ausland – allerdings ist auch das nicht einfach. In Osteuropa zum Beispiel gibt es durchaus geeignete IT-Spezialisten. Aber auch diese Leute sind gefragt und haben oft viele Angebote. Im Zweifel entscheiden sie sich dann eher für Hamburg als für Einbeck. Ein weiterer Weg ist die Zusammenarbeit mit regionalen Hochschulen, um frühzeitig mit geeigneten Kandidaten in Kontakt zu kommen. In letzter Konsequenz muss man gegebenenfalls irgendwann über einen zusätzlichen Standort in einem Ballungsgebiet nachdenken.

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