„Wir müssen die Nähe zu Göttingen und Hannover stärker nach außen tragen“
Viele Einbecker
Unternehmen haben es schwer, genügend geeignete Bewerber zu finden.
Sie stehen im Wettbewerb mit Arbeitgebern aus Berlin, Hamburg oder
München. Im Interview spricht Mark-Oliver Müller, Geschäftsführer der Salzderheldener
Digitalagentur Alto, über die Konkurrenz zwischen Stadt und Land.
Er sagt: "Wir müssen mehr an die Interessen der
Menschen denken, die wir zu uns holen wollen." 2015 wurde Müller vom Landkreis Northeim zum Botschafter der Region
ernannt.
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Nur eine halbe Stunde dauert die Zugfahrt von Einbeck nach Göttingen – für Mark-Oliver Müller ein wichtiger Pluspunkt beim Werben um Neubürger. |
Was ist so schlimm an Einbeck, dass viele Unternehmen ihre Stellen nicht besetzen können?
Zum einen hat Einbeck objektive
Schwächen, die Bewerber von außerhalb abschrecken. Ich denke an das
fehlende Nachtleben und das Kulturangebot, das stark auf Senioren
ausgerichtet ist. Zum anderen ist es die gefühlte Entfernung vom "echten Leben",
die uns bei der Personalsuche zu schaffen macht. Wenn jemand zum
Beispiel aus Hamburg kommt und von der Autobahn abfährt, dann denkt
er, er ist im Nirgendwo. Tatsächlich braucht man nur 20 Minuten bis
Göttingen und eine knappe Stunde nach Hannover. Aber das nimmt man
so nicht wahr.
Wie lässt sich das ändern?
Wir müssen die Nähe zu Göttingen und
Hannover in unserer Kommunikation viel stärker nach außen tragen.
Wenn ich in Hamburg lebe und ins Kino will, dann bin ich schließlich
auch 30 oder 40 Minuten unterwegs.
Mit welchen Stärken kann die Region
werben?
Mit ihren günstigen Immobilienpreisen,
der Nähe zur Natur, dem entspannteren Leben. In Berlin zum Beispiel
ist immer etwas los, die Stadt ist immer in Bewegung. Aber irgendwann
muss es doch auch einmal dunkel werden. Bei uns kann ich aktiv sein –
ich kann aber auch die Tür hinter mir zu machen und dann ist Ruhe.
Sehen Sie Möglichkeiten, mit diesen
Argumenten neue Einwohner zu gewinnen?
Ja, mit Einschränkungen. Generell ist
es so: Wer einmal gegangen ist, zum Beispiel zum Studium, den
bekommen wir nur schwer zurück. Eine Chance sehe ich bei jungen
Familien, die die Nähe zu den Großeltern und die Sicherheit auf dem
Land schätzen. Der Vorteil für junge Eltern: Bei uns können sie
ihre Kinder auf der Straße spielen lassen. Und sie können sich ein
Einfamilienhaus leisten statt einer 50-Quadratmeter-Wohnung in
München. Aber es ist nur ein kleines Zeitfenster, in dem man diese
Menschen für einen Umzug begeistern kann.
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Mark-Oliver Müller, Geschäftsführer der Salzderheldener Digitalagentur Alto. |
Insgesamt also eher düstere Aussichten...
Ich sehe große Risiken, ja. Zum
Beispiel befürchte ich, dass in einigen Orten bald ganze Straßenzüge
abgewickelt werden müssen. Die Besitzer sind alt, ihre Kinder haben
ihr Leben anderswo. In Einbeck lassen sich solche Häuser noch am
besten verkaufen, aber auf den Dörfern sieht die Nachfrage nicht
rosig aus. Vermutlich erleben wir bald einen Preisverfall bei vielen
Immobilien. Verschärft wird das Problem möglicherweise noch, wenn
größere Unternehmen Arbeitsplätze verlagern, zum Beispiel nach
Berlin.
Wie lässt sich gegensteuern?
Wir müssen mehr an die Interessen der
Menschen denken, die wir zu uns holen wollen. Positive Beispiele sind
die neuen Bahnverbindungen und der Nachtbus nach Göttingen. Meine
Beobachtung ist, dass wir uns zu sehr auf diejenigen konzentrieren,
die ohnehin schon hier leben. Für diese Menschen veranstalten wir
Volksmusikkonzerte und planen neue Fußwege – aber das bringt uns
nicht weiter. Wir reden viel über unsere schönen alten
Fachwerkhäuser – aber das macht uns nicht modern. Wir machen es
uns heimelig – aber wir denken nicht an die Zukunft.