„Unsere Stadtspaziergänge finden Nachahmer“

Mit dem Projekt „3.000 Schritte für mehr Gesundheit“ hat der Einbecker Lions-Club ein regelmäßiges Bewegungsangebot speziell für Seniorinnen und Senioren etabliert. Im Interview erklärt Mit-Initiator und Lions-Mitglied Lutz Voss, wie die Idee entstanden ist, wie das Angebot funktioniert und warum es zum bundesweiten Vorzeigeprojekt wurde.

Auf der Titelseite: Lions-Magazin mit einem Bericht über das 3.000-Schritte-Projekt.

Seit 2017 bieten Sie jede Woche einen Spaziergang für Senioren an. Wie kam es dazu?
Als ehemaliger Geografielehrer beschäftige ich mich schon lange mit der Bevölkerungsentwicklung. Eine wichtige demografische Veränderung in Deutschland: Die Gruppe der Älteren wird in den nächsten Jahrzehnten immer größer, gerade bei uns in Südniedersachsen. Ich finde es deshalb konsequent, dass wir Lions als Service-Organisation uns verstärkt auch um Senioren kümmern. Aus dieser Überlegung ist vor fünf Jahren die Idee für das neue Angebot entstanden. Damals war ich District Governor der Lions und habe meine einjährige Amtszeit genutzt, um das Konzept voranzubringen. Der Niedersächsische Turner-Bund dachte bereits in eine ähnliche Richtung. Deshalb haben wir gemeinsam „3.000 Schritte für mehr Gesundheit“ ins Leben gerufen. Übrigens auch im Auftrag der Einbecker Politik.

Wie sieht das Projekt in der Praxis aus?

Seit fast drei Jahren bieten wir jeden Mittwoch um 15 Uhr einen Spaziergang für Ältere in Einbeck an. Unsere Stammstrecke verläuft auf den Wallanlagen – da ist man nach zweieinhalb Kilometern einmal um die Stadt. Allerdings wechseln unsere Spaziergehrouten regelmäßig, damit es nicht langweilig wird. Wir wählen die Strecken so, dass wir nach 45 bis 60 Minuten und 4.000 bis 7.000 Schritten ankommen. Zusammen mit Siegfried Sander und Herbert Papenberg sorge ich dafür, dass die Lions projektsteuernd und verlässlich sind. Im Anschluss organisieren wir oft noch einen geselligen Ausklang. Die Einbecker Morgenpost gibt den Treffpunkt jeden Mittwoch im Lokalteil bekannt. Das ist großartig, weil wir dadurch mit Start und Routen flexibel sind.

Wie ist die Resonanz?
Konstant gut. Wir haben nie weniger als 25 Teilnehmer, am stärksten Tag waren wir 66 Spaziergängerinnen und Spaziergänger. Ich schätze, dass bisher rund 250 unterschiedliche Menschen an den „3.000 Schritten“ teilgenommen haben – zum größten Teil Senioren zwischen 60 und 90 Jahren. Besonders beliebt sind unsere Runden bei Alleinstehenden, wir haben aber auch etliche Ehepaare. Die Teilnehmer kommen sowohl aus der Kernstadt als auch aus den nahen Ortschaften. Gemeinsam sind wir bisher rund 20 Mio. Schritte gegangen!

Wie erklären Sie sich die Beliebtheit?

Ganz wichtig sind die Gespräche auf und nach dem Weg. Ich sage gern: Unsere Spaziergänge sind  „soziale Tankstelle“ und „Einsamkeitsbekämpfer“ zugleich. Man kann über vieles reden. Wir machen bewusst immer wieder Pausen, damit das Klönen nicht zu kurz und die Gruppe zusammen ins Ziel kommt. Die positive Wirkung auf die Gesundheit ist ohnehin unbestritten. Das zeigt auch eine neue Harvard-Studie, die 4.000 bis 7.000 Schritte in moderatem Tempo täglich empfiehlt. Regelmäßige Spaziergänge fördern die Grundkondition, die Motorik und die geistige Leistungsfähigkeit. Allerdings betreiben wir keinen Leistungssport – wir wählen immer ein Tempo, bei dem jeder mitkommt. Das betreute Spazieren in der Gruppe gibt zudem Sicherheit. Es besteht keinerlei Zwang zur Teilnahme. Sie ist kostenfrei und für jedermann offen.

Gut erkennbar in rosa Aktionswesten (v.li.): die Lions-Mitglieder Herbert Papenberg, Lutz Voss und Siegfried Sander mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Stadtspaziergangs. Foto: Lions

Welche Faktoren sind noch wichtig?
Ein Schlüssel ist die Verlässlichkeit. Wir machen unsere Touren seit April 2017 bei praktisch jedem Wetter. Nur an wenigen Feiertagen sind die Spaziergänge ausgefallen. Hinzu kommen die Kleinigkeiten: So gibt es für jede Teilnahme einen Stempel in unsere Treuekarte. Ist diese nach einem halben Jahr voll, gibt es einen von den Lions gesponserten Gutschein für eine Bäckerei. Die gemeinsamen Besuche dort sind beliebt. Das ist nichts Großes, aber es erhöht die Motivation und verstärkt den bindenden Peer-Group-Effekt. Ganz wichtig sind natürlich auch unsere Kooperationspartner wie die Berufsbildenden Schulen in Einbeck.

Was tun die? 
Eine Altenpflegeklasse der BBS unterstützt uns beim Planen der Routen. Jeden Mittwoch begleiten uns drei bis fünf Schüler mit Programm. Für die jungen Leute ist das eine gute Vorbereitung auf ihren künftigen Beruf – ein sanftes Training für den Umgang mit Älteren, hier den pflegeleichten fitten Alten. Nebenbei erwerben die Schülerinnen und Schüler die anerkannte Qualifikation als zertifizierte Bewegungsbegleiter. Gut möglich, dass ihnen das später bei der Bewerbung hilft. Unser Verhältnis zu den Pflegeklassen ist inzwischen so eng, dass wir zu den Entlassungsfeiern eingeladen werden – selbstverständlich gehen wir da als große Gruppe hin. Insgesamt eine echte Win-Win-Situation!

Sie sprachen von mehreren Partnern…
Neben der BBS arbeiten wir mit dem Einbecker Sportverein, dem Kneippverein mit dem gern besuchten Kneippbecken, den Landfrauen und der Freimaurerloge zusammen. Das Rote Kreuz hält sich jeden Mittwoch bereit, falls jemand gesundheitliche Probleme bekommt. Glücklicherweise ist das noch nie vorgekommen. Bislang gehörte auch der Niedersächsische Turner-Bund zu unseren Partnern. Allerdings haben sich die Turner entschieden, künftig eigene Angebote zu organisieren.

Wie geht es mit dem Projekt weiter?

Die Einbecker Lions haben sich zum Ziel gesetzt, die 3.000-Schritte-Aktion zur ständigen Einrichtung werden zu lassen. Ganz im Sinne einer altersgerechteren Kommune. Im vergangenen Jahr haben wir in Einbeck eine Infoveranstaltung für Lions aus ganz Deutschland organisiert. Seitdem gelten unsere „3.000 Schritte“ bundesweit als Vorzeigeprojekt. Wir Lions suchen ja immer nach geeigneten Activities, die etwas Gutes bewirken. Dafür sind die Senioren-Spaziergänge ideal: Für die Teilnehmer ist die Hemmschwelle gering. Für die Clubs ist es organisatorisch und finanziell zu leisten. Und wie schon angedeutet: Die Älteren werden als Zielgruppe der Lions immer wichtiger.

Gibt es Städte, die sich am Einbecker Beispiel orientieren?
In Hameln läuft ein vergleichbares Angebot seit Juni 2019. Organisiert wird es ebenso von den Lions und einigen Kooperationspartnern. Außerdem weiß ich von einem ähnlichen Konzept in Buxtehude. Dort wird das Projekt von der Hochschule 21 organisiert. Man kann durchaus sagen: Unsere Stadtspaziergänge finden Nachahmer.

Hinweis:

Wegen der Corona-Pandemie ist der Einbecker Stadtspaziergang derzeit ausgesetzt. Zu einem späteren Zeitpunkt soll das Projekt nach Auskunft von Lutz Voss „in bewährter Form“ weitergehen.

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