„Uns gehen langsam die Fenster aus“

Hans-Jürgen Kettler ist Vorsitzender der Bürgerinitiative Sch(l)aufenster Einbeck. Grundidee ist es, leerstehende Schaufenster zu dekorieren und so das Stadtbild zu verbessern. Im Interview zieht Kettler Bilanz und kritisiert die mangelnde Kooperationsbereitschaft etlicher Eigentümer.

Hans-Jürgen Kettler ist das Gesicht der Bürgerinitiative Sch(l)aufenster Einbeck. Er sagt: "Wir haben viele Interessenten, die gern eine Auslage gestalten würden, vor allem Vereine."

Wie kommt es, dass Sie in Einbeck zum „Mister Schlaufenster“ geworden sind?
Kettler (lacht): Damit Sie meine Antwort verstehen können, muss ich Ihnen zunächst einmal erklären, wie es überhaupt zu der Bezeichnung „Sch(l)aufenster“ kam – denn der Begriff existiert ja so nicht im Duden. Dazu gehört das Wortspiel: „Vom Graufenster über das Sch(l)aufenster zum wieder vermieteten Schaufenster“. Und es ist die Geschichte einer inzwischen aufsehenerregenden Bürgerinitiative.

Die Sie gegründet haben?
Nein, es war ein Gemeinschaftsprojekt. 2015 bin ich nach 47 Jahren Arbeit in den Ruhestand gegangen. In den Jahrzehnten davor habe ich mich um meinen Beruf, meine Kinder und meine älter werdenden Eltern gekümmert. Für Hobbys und Freundschaften blieb wenig Zeit. Auf einmal hatte ich die Freiheit mich zu fragen: Was machst du jetzt? In dieser Phase ereilte Einbeck ein Aufruf von Karl-Heinz Rehkopf. Er wollte über die Leerstände in Einbeck und die schlimmen Zustände einiger Gebäude sprechen.

Gab es einen konkreten Grund dafür?
Karl-Heinz Rehkopf ist der Initiator und Stifter des PS.SPEICHER in Einbeck. Mit dessen Eröffnung im Sommer 2014 erwartete er sich viele neue Gäste in Einbeck. Er stellte sich deren Enttäuschung vor, wenn sie beim Betrachten der herrlichen Fachwerkhäuser die vielen trostlosen, mit Bettlaken verhängten oder mit Tapeten verklebten Schaufenster der vielen leerstehenden Geschäfte sehen müssten. Zum ersten Treffen nach dem Aufruf kamen 80 Menschen. Alle zehn Sekunden erschien ein Foto nach dem nächsten von einem ungenutzten Schaufenster. Da keimte in vielen der Gedanke auf: Das wollen wir unbedingt ändern!

Und wie genau?
Indem wir Künstlern, Vereinen, Sammlern oder Schulen die Möglichkeit geben, kostenlos diese Graufenster zu dekorieren und sich darin darzustellen. Vor allem aber wollten wir erreichen, dass die Fenster wieder ansehnlich und interessant werden und besonders abends wieder beleuchtet sind. Aus diesem Gedanken entstand die Bürgerinitiative Schlaufenster. Was fehlte war ein Vorsitzender. Mich begeisterte die Idee von Anfang an und ich war bereit, mich an die Spitze unserer Initiative zu stellen. So kam es wohl dazu, dass man mich jetzt, wie Sie es sagen, Mister Sch(l)aufenster nennt.

Wie ging es weiter?
Wir bekamen Startkapital von der Kulturstiftung Kornhaus, von der Sparkasse Einbeck, der Volksbank Einbeck und Einbeck Marketing. Damit haben wir loslegt. Das erste Schlaufenster – die wohl schlimmste Ecke in der Innenstadt - habe ich noch selbst mit einem Freund eingerichtet – mit Schreibmaschinen aus einer privaten Sammlung. Nahezu jeder, der vorbeikam, blieb stehen und sagte: Endlich passiert etwas!

Dekoriert statt leer: Beispiel für ein Sch(l)aufenster in der Einbecker Innenstadt. 

Einbeck ist nicht die erste Kommune, die sich auf diese Art um ein besseres Stadtbild bemüht.
Das stimmt, der Unterschied zu uns ist aber: Wir haben sehr schnell gehandelt. Dadurch haben die Einbecker Vertrauen gefasst. Auch ich persönlich wurde schnell bekannt – das hat die Arbeit und die Ansprache von vielen Eigentümern erleichtert. Denn zuerst brauchten wir deren Aufmerksamkeit und Zustimmung zu einer Kooperation. Ein weiterer wichtiger Erfolgsfaktor war die schon angesprochene allgemeine Aufbruchstimmung, die in Einbeck 2014 mit der Gründung des PS.SPEICHER entstand und die bis heute anhält.

Inwiefern?
Einbeck war schon immer eine schöne Stadt – nun berief sie sich aber auf ihre Stärken: Seither wird Einbeck positiver wahrgenommen und zieht andere Besuchergruppen an als noch vor einigen Jahren, vor allem natürlich Oldtimerfreunde. Diese Stimmung tut der Stadt gut und trägt dazu bei, dass sich Bürger mit ihrer Heimat auseinandersetzen und etwas verbessern möchten.

Wie viele Schlaufenster gibt es heute?
Im Moment haben wir gut 30 Auslagen dekoriert. Allerdings ist eine andere Zahl aussagekräftiger: Als wir anfingen, zählten wir rund 60 Leerstände, die Graufenster. Von diesen Fenstern sind 33 wieder in einer wirtschaftlichen Nutzung. Ein gutes Beispiel ist ein früherer Lebensmittelladen am Neuen Markt. Der stand lange leer, bis wir das Fenster mit einer Ausstellung des Bürgerspitals füllten. Heute mietet eine Versicherungsagentur die Räume. Andere Gebäude werden von Gastronomen, Fahrschulen oder politischen Parteien genutzt.

Wie funktioniert die Vermittlung?
Oft läuft es so, dass potenzielle Interessenten bei mir anrufen. Meine Telefonnummer steht in jedem Schlaufenster. Ich habe zu praktisch allen Eigentümern einen persönlichen Kontakt und spreche sie an. Sind sie einverstanden, gebe ich ihre Kontaktdaten an die Interessenten weiter. Damit ist meine Rolle beendet. Ich stelle gern den Kontakt her – aber ich bin kein Makler.

Wie viele Schlaufenster wollen Sie noch einrichten?
Das ist mit einer Zahl nicht zu beantworten. Wir haben viele Interessenten, die gern eine Auslage gestalten würden, vor allem Vereine. Das Problem ist: Etliche Eigentümer wollen nicht mit uns zusammenarbeiten – auch wenn wir uns noch so intensiv bemühen.

Mittlerweile kümmert sich die Bürgerinitiative auch um die Gestaltung von Stromkästen - so wie hier am Hallenplan.

Was stört die Eigentümer daran, wenn Sie ungenutzte Immobilien verschönern wollen?
Zum Teil sind es Immobiliengesellschaften – die wissen manchmal gar nicht, wo Einbeck liegt. Die reagieren nicht auf unsere Briefe. Es gibt aber auch Einzeleigentümer, die kein Interesse haben. Die nennen keine Gründe – müssen sie auch nicht. In solchen Fällen stoßen wir ebenso an unsere Grenzen wie die Stadt. Die Folge ist: Im Moment gibt es nur sehr wenige Auslagen, die wir Interessenten anbieten können. Uns gehen langsam die Graufenster aus.

Neben den Schaufenstern kümmern Sie sich mittlerweile auch um Stromkästen.
Ja, dazu sind wir zufällig gekommen, weil ich aus einem anderen Grund in der entscheidenden Sitzung des Kernstadtausschusses war. Dort ging es darum, wie man ein erfolgreiches Projekt aus Hullersen auf Einbeck übertragen kann. Auch nach langer Diskussion fand sich keine Lösung. Also habe ich gesagt: Wenn ich als Vorsitzender der Bürgerinitiative wiedergewählt werde, dann machen wir das. Inzwischen haben wir 37 Stromkästen verschönert und es gibt noch viel Nachfrage. Neben den Schaufenstern und Stromkästen haben wir vor kurzem übrigens auch die Brandlücke in der Altendorfer Straße verschönert – mit zwei Ausstellungs-Containern des PS Speichers.

Vorläufig geschlossen: Brandlücke in der Altendorfer Straße.

Sie haben eingangs gesagt, dass die Bürgerinitiative auf einen Anstoß von Karl-Heinz Rehkopf zurückgeht. Wie eigenständig sind Sie heute?
Gerade in der Anfangsphase hat uns die Kulturstiftung Kornhaus von Herrn Rehkopf sehr unterstützt. Auch heute ist Herr Rehkopf immer noch sehr an der Arbeit der Bürgerinitiative interessiert. Er erkundigt sich regelmäßig, was wir tun. Finanziell sind wir aus der Phase der Anschubfinanzierung heraus. Wir bestreiten unsere Arbeit aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden.

Zur Person:
Der gebürtige Einbecker Hans-Jürgen Kettler (67) verließ die Stadt mit 18 Jahren, um in Hannover Maschinenbau zu studieren. Nach dem Abschluss arbeitete er in der Recyclingbranche – zunächst bei Konzernen wie Preussag, später als Selbstständiger. Aus familiären Gründen kehrte er 2008 nach Einbeck zurück. Heute ist Kettler unter anderem Vorsitzender der Bürgerinitiative Schlaufenster und der SVG Einbeck. 

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