„Wir brauchen mehr Investitionen in den ländlichen Raum“

Wie steht es in Zeiten des demografischen Wandels mit gleichwertigen Lebensverhältnissen auf dem Land? Diese Frage hat das Soziologische Forschungsinstitut (SOFI) Göttingen in vier Dörfern Südniedersachsens untersucht. Im Interview berichtet Maike Simmank, wissenschaftliche Mitarbeiterin am SOFI, was die Bewohner an ihren kleinen Orten schätzen – und wo die Probleme liegen.

Das Soziologische Forschungsinstitut Göttingen hat sich mit vier südniedersächsischen Orten beschäftigt - darunter Kuventhal. „Die größte Sorge der Bürger sind schlechte Mobilitätsangebote und Internetverbindungen“, berichtet Maike Simmank.

Sie wollten herausfinden, ob gleichwertige Lebensverhältnisse auf dem Land mehr sind als eine schöne Idee. Wie sind Sie vorgegangen?
In unserem Forschungsprojekt haben wir uns auf vier  kleine Ortschaften in den südniedersächsischen Landkreisen Göttingen, Northeim, Holzminden und Goslar konzentriert. Das kleinste Dorf, Kuventhal, zählt rund 200  Einwohner. Im größten Ort, Kirchbrak im Landkreis Holzminden, leben knapp 1.000 Menschen. Unter dem Motto „SOFI geht aufs Land“ haben wir zu insgesamt drei öffentlichen Veranstaltungen eingeladen, um mehr über den Alltag zu erfahren. Zusätzlich haben wir bei einem Forschungsbesuch und einer Schülererhebung weitere Informationen gesammelt.

Wie sehen Ihre Erkenntnisse aus?
Interessanterweise äußern sich die Bürger in allen vier Dörfern sehr ähnlich über die Stärken und Schwächen ihrer Orte. Die Menschen schätzen die Ruhe und die Natur, die sie umgibt. Das kam bei fast jedem Gespräch in den ersten Sätzen – unabhängig vom Alter. Lob gab es auch für das Vereinsleben und die Hilfsbereitschaft in den Dörfern. 

Wo liegen die Schwächen?
Die größte Sorge der Bürger sind schlechte Mobilitätsangebote und Internetverbindungen. Klagen zur Mobilität kommen besonders von denjenigen, die kein eigenes Auto nutzen – also Kinder, Jugendliche und Senioren. Das ist natürlich nachvollziehbar: Viele Ältere stehen vor der Herausforderung, ihre Einkäufe und Arztbesuche ohne eigenes Fahrzeug zu organisieren. Jugendliche fühlen sich in ihrer Freiheit eingeschränkt, weil sie für viele Fahrten auf ihre Eltern angewiesen sind. Den öffentlichen Nahverkehr empfinden sie nicht als Alternative. Auch Unternehmen kritisieren mangelhafte Busverbindungen. Ihr Problem: Sie finden schwer Auszubildende, die nicht im gleichen Ort wohnen.

Welche Lösungen kommen in Frage?
Konzepte für Bürgerbusse oder Formen der Nachbarschaftshilfe existieren. Allerdings setzen solche Projekte häufig auch eine gute Internetverbindung voraus, weil sie über Online-Plattformen oder Apps funktionieren. Das Mobilitäts-Problem und das Internet-Problem hängen also eng zusammen. Das kritisieren etliche Bürger, mit denen wir gesprochen haben. 

Maike Simmank.
Foto: kpw-photo
Was kann die Kommunalpolitik tun?
Konkrete Handlungsempfehlungen standen bei unserem Projekt nicht im Mittelpunkt. Wir wollten vor allem den Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis fördern, Impulse setzen und das Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse in den Blick rücken. Was man sicherlich sagen kann: Wir brauchen mehr Investitionen in den ländlichen Raum. Das betrifft etwa die Bereiche Arbeit und Wohnen, beispielsweise in Form von Gründerzentren oder Senioren-WGs. Ein weiterer Schlüssel für Verbesserungen: Kommunen sollten das Engagement und die Vernetzung vor Ort fördern. Es gibt es ein großes Bedürfnis nach Treffpunkten – ob analog oder digital. 

Viele Orte träumen davon, neue Bürger aus umliegenden Städten anzuziehen. Kann das gelingen?
Die Chance besteht, sofern die nötige Infrastruktur vorhanden ist. Magazine, die ein idyllisches Bild vom Landleben vermitteln, sind ja zurzeit populär. Gleichzeitig sind Städter aber auch einen gewissen Standard der Daseinsvorsorge gewöhnt. Dazu zähle ich flexible Busverbindungen, eine gute Kinderbetreuung und moderne Arbeitsplätze, zum Beispiel in Co-Working-Spaces. Wenn es das gibt, dann könnte ein Leben auf dem Land vor allem für Menschen interessant sein, die ihren Arbeitsort weitgehend selbst bestimmen können – etwa Selbstständige oder IT-Fachkräfte.

Welche Rolle spielt die Corona-Welle für Ihre Forschung?
Zum einen hat die Pandemie leider dazu geführt, dass die geplante Abschlussveranstaltung unseres Projekts nicht stattfinden konnte. Wir werden trotzdem den Kontakt zu den vier beteiligten Orten halten und verfolgen, wie sie sich weiterentwickeln. Zum anderen unterstreicht die Corona-Welle, wie wichtig leistungsfähige und stabile öffentliche Güter auch auf dem Land sind. Das gilt für die medizinische Versorgung ebenso wie für die Pflege oder die öffentliche Sicherheit.  

Hinweise:
Den Forschungsbericht zum Projekt „Gleichwertigkeit – Mehr als eine gute Idee?!“ zu den Dörfern Kuventhal (Landkreis Northeim), Hahausen (Landkreis Goslar), Kirchbrak (Landkreis Holzminden) und Rüdershausen (Landkreis Göttingen) gibt es hier.

Zum Umgang mit der Corona-Krise auf dem Land hat Maike Simmank gemeinsam mit Prof. Berthold Vogel einen weiteren Diskussionsbeitrag veröffentlicht. Die Analyse ist hier zu finden. 

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