„Die Sicherung des Fachkräftebedarfs hat höchste Priorität“

Ina-Maria Heidmann ist Hauptgeschäftsführerin der Handwerkskammer Hildesheim-Südniedersachsen. Im Interview spricht sie über Nachwuchsgewinnung, betriebliche Ausbildung und die Herausforderungen rechtzeitiger Unternehmensübergaben.

Das Handwerk bietet Berufe mit Zukunft - so sieht es Ina-Maria Heidmann: „Handwerker sind seltener arbeitslos als Akademiker.“ Fotos (3): Handwerkskammer

Wie sehr leidet das südniedersächsische Handwerk unter Fachkräftemangel?
Die Bevölkerung unserer Region schrumpft – deshalb hat die Sicherung des Fachkräftebedarfs höchste Priorität. Das war schon vor der Coronakrise so und das wird auch in Zukunft so sein. In der Pandemie ist allerdings sichtbar geworden, wie wichtig ein funktionierendes Handwerk ist. Bis auf Friseure und Kosmetiker konnten alle Gewerke durcharbeiten – das Handwerk ist ein Stabilitätsfaktor.

Was tun die Unternehmen, um qualifizierten Nachwuchs zu bekommen?
In ländlichen Regionen wie Südniedersachsen stellt das Handwerk jeden dritten Ausbildungsplatz. Im vergangenen Jahr haben sich in unserem Kammerbezirk 93 Betriebe entschieden, neu in die betriebliche Ausbildung einzusteigen. Insgesamt bilden damit rund 1.400 Handwerksunternehmen aus. Für das kommende Ausbildungsjahr zeichnet sich angesichts der Wirtschaftskrise ein Rückgang ab. Bei den Ausbildungsplätzen liegen wir derzeit um knapp 20 Prozent unter Vorjahr. Aber bis September ist noch Zeit – bis dahin kann sich einiges tun.

Welche Zielgruppen haben Sie neben Schulabgängern im Blick?
In den vergangenen Jahren haben die Betriebe viel getan, um Flüchtlingen einen Berufseinstieg zu ermöglichen. Die Handwerkskammer berät dabei die Unternehmen und schlägt ihnen geeignete Kandidaten für ein Praktikum, eine Einstiegsqualifizierung oder eine Ausbildung vor. Niedersachsenweit haben die Firmen auf diese Weise seit 2015 rund 1.000 zusätzliche Mitarbeiter gewonnen. Darüber hinaus bemühen wir uns intensiv, Studienabbrechern eine Perspektive im Handwerk zu geben.

Ina-Maria Heidmann.
Wie sieht das in der Praxis aus?
Wir haben Kooperationsvereinbarungen mit Hochschulen wie der HAWK geschlossen. Darin ist festgelegt, dass Ausbildungsleistungen gegenseitig anerkannt werden. Der Vorteil: Wer ein Studium abbricht, weil er doch lieber eine handwerkliche Ausbildung machen möchte, fängt nicht bei Null an. Das kann zum Beispiel ein Architekturstudent sein, der sich nach einigen Semestern für eine Laufbahn als Tischler entscheidet. Nicht selten lässt sich die Ausbildungszeit in solchen Fällen auf eineinhalb bis zwei Jahre verkürzen. Anschließend bestehen gute Chancen, die Meisterschule zu besuchen.

Sind Abiturienten der Handwerksnachwuchs der Zukunft?

Die Zielgruppe wird zumindest wichtiger. Früher haben 20 bis 30 Prozent eines Jahrgangs Abitur gemacht – heute ist es die Hälfte. Im Kammerbezirk gelingt es uns, 15 Prozent der Schulabgänger mit Hochschulreife für eine handwerkliche Ausbildung zu gewinnen. Damit liegen wir über dem Bundesdurchschnitt von 12,5 Prozent. Die guten Berufsaussichten sprechen für sich. Handwerker sind seltener arbeitslos als Akademiker.

Viele Handwerksmeister der geburtenstarken Jahrgänge stehen vor dem Ruhestand. Was raten Sie Firmeninhabern, die ihren Betrieb übergeben wollen?
Früh genug anfangen. Die Firmen-Übergabe an einen Nachfolger kann Jahre dauern. Die Zeiten, in denen Betriebsübernahmen durch Kinder der Standardfall waren, sind vorbei. Wir raten, sich schon sieben bis zehn Jahre vor dem geplanten Ruhestand umzusehen. Das ist genügend Zeit, um Kontakte zu knüpfen oder auch eigene Mitarbeiter anzusprechen. Vielleicht hat ein erfahrener Geselle Interesse an der Selbstständigkeit und möchte den Meisterbrief machen. So etwas braucht genügend Vorlauf.


Info:
Der Bezirk der Handwerkskammer Hildesheim-Südniedersachsen umfasst die Landkreise Northeim, Göttingen, Hildesheim und Holzminden.
Zum 31. Dezember 2019 waren insgesamt 7.746 Betriebe in den Verzeichnissen der Handwerkskammer eingetragen. Davon entfielen 1.415 Unternehmen auf den Landkreis Northeim.

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