„Südniedersachsen hat ein Wahrnehmungsproblem“

Tim Schneider ist verantwortlich für die Geschäftsführung der Südniedersachsen-Stiftung, die die Region im Wettbewerb um Fachkräfte besser positionieren will. Im Interview spricht er über die Probleme einer schrumpfenden Boomregion und die Abwanderung vieler Studierender nach dem Hochschul-Abschluss. Die Stiftung ist in den Landkreisen Northeim, Göttingen, Goslar, Holzminden, Eichsfeld (Thüringen) und in der Stadt Göttingen tätig.

Blick über das Leinetal von Einbeck nach Göttingen. „Von der Faktenlage her ist die Region attraktiv“, sagt Tim Schneider - Defizite sieht er in der Außendarstellung.

Viele südniedersächsische Unternehmen finden nicht genügend qualifizierte Mitarbeiter. Woran liegt das?
Ein zentraler Faktor ist der demografische Wandel, der die Bevölkerung in den ländlichen Gemeinden und Mittelzentren Südniedersachsens stagnieren oder schrumpfen lässt. Göttingen als Hochschulstadt profitiert zwar von starkem Zuzug, es gelingt jedoch nicht in ausreichendem Maße, die Studierenden auch nach dem Abschluss in der Region zu halten und langfristig zu binden. Es besteht aktuell ein großes Ungleichgewicht zwischen der hohen Anzahl an Akademikerinnen und Akademikern, die die Hochschulen in der Region ausbilden, und den Fachkräften, die langfristig in Südniedersachsen bleiben. Wie das Institut der Deutschen Wirtschaft bereits im Dezember 2018 festgestellt hat, ist Südniedersachsen eine schrumpfende Boomregion mit steigendem Bedarf an Fachkräften und freien Arbeitsplätzen und einer zeitgleich schrumpfenden Bevölkerung.

Was fehlt Südniedersachsen, um mehr Studierende dauerhaft zu halten?

Von der Faktenlage her ist die Region attraktiv. Es gibt zwar Entwicklungspotenziale bei der Verkehrsanbindung der Mittelzentren an Göttingen, andererseits hat Südniedersachsen ein gutes kulturelles Angebot, gute Angebote für Familien und auch die überregionale Verkehrsanbindung kann sich sehen lassen. Offensichtlich werden diese Stärken von Fach- und Führungskräften nur eingeschränkt erkannt beziehungsweise nicht ausreichend kommuniziert. Südniedersachsen hat ein internes und externes Wahrnehmungsproblem, was an die Diagnose einer schrumpfenden Boomregion anschließt.

Tim Schneider.
Foto: Südniedersachsen-Stiftung

Kann es wirklich an der Wahrnehmung liegen? Die meisten Hochschulabsolventen haben mehrere Jahre in der Region gelebt. Sie müssten Stärken und Schwächen gut beurteilen können…
Das sehe ich anders, ist Wahrnehmung doch ein überwiegend passiver Vorgang. Damit meine ich, dass die Wahrnehmung von unserer Region weniger einen aktiv gesteuerten Prozess der einzelnen Person, sondern vielmehr eine unterbewusste Beeinflussung durch äußere Einflüsse und Botschaften darstellt. Ich selbst habe auch in Göttingen studiert. Nach dem Abschluss bin ich weggezogen und erst Ende 2019 zurückgekommen. Während des Studiums habe ich von der Vielfältigkeit und den Stärken Südniedersachsens wenig wahrgenommen. Ich habe mir damals nie die Frage gestellt, ob ich dauerhaft in Südniedersachsen leben möchte. Meine Wahrnehmung war, dass wir als Region vor allem wirtschaftlich nicht in der oberen Liga spielen. Ich vermute, dass es vielen Studierenden so geht. Mittlerweile habe ich aber erkannt, dass dies tatsächlich ein Wahrnehmungsproblem meinerseits war und ich viele positive Aspekte und Stärken Südniedersachsens damals nicht erkennen konnte.

Wie lässt sich die Außendarstellung verbessern?
Ein wichtiger Baustein ist das von uns in Kooperation mit der Universität Göttingen betriebene Welcome Centre für den Göttingen Campus und die Region Südniedersachsen, das Fachkräften den Start in Südniedersachsen erleichtert. Ankommende werden beispielsweise bei der Beantragung von Visa und der Wohnungssuche unterstützt oder einfach über Sport- und Kulturangebote informiert. Ziel ist es, den Neuankömmlingen bei der Eingewöhnung zu helfen und sie möglichst langfristig an unsere Region zu binden. Anfang dieses Jahres ist zudem das Projekt Regionales  Fachkräftemarketing für die Landkreise Göttingen und Northeim bei der Südniedersachsen-Stiftung gestartet. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt, wie wir die Region nach außen möglichst attraktiv präsentieren können. Ziel soll die Erarbeitung eines ganzheitlichen Konzepts zur Zusammenführung der bislang vereinzelten regionalen Marketingaktivitäten sein. Darüber hinaus würden wir es begrüßen, wenn wir den erarbeiteten Ansatz auf die gesamte Region Südniedersachsen übertragen können, um damit die Markenbildung zu unterstützen.

Gibt es schon erste Ergebnisse im Projekt?
Durch die Corona-Pandemie konnten wir leider nicht so zügig starten wie geplant. Wir haben die Zeit für die konzeptionelle Arbeit genutzt und unter anderem Best-Practice-Beispiele aus anderen Regionen zusammengetragen. Insgesamt haben wir in dem Projekt zweieineinhalb Jahre Zeit, um die unterschiedlichen Akteure in den Austausch zu bringen und ein Konzept zu entwickeln.

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