„Ich baue lieber 12 Kindertagesstätten als ein Wissensquartier“

Dirk Heitmüller bewirbt sich für die SPD um das Amt des Bürgermeisters. Im Interview erklärt er, wie er mit den Folgen des demografischen Wandels umgehen will. Er fordert mehr Einsatz von der Einbecker Wohnungsbaugesellschaft, verlangt zusätzliche Krippenplätze und eine dienstleistungsorientierte Verwaltung. Weitere Gemeindefusionen lehnt er ab. Der Kandidat: „Wenn die Stadt weiter wächst, ist das irgendwann nicht mehr handhabbar.“ Heitmüller ist Mitglied des Einbecker Stadtrats und Ortsbürgermeister in Salzderhelden.

Will Chef im Einbecker Rathaus werden: Dirk Heitmüller (SPD).

Leerstand und Wohnen:

Lange wurde über Neubaugebiete in den Dörfern diskutiert. Nun haben Vertreter der Orte die Aufgabe übernommen, sich zunächst einen Überblick über Baulücken und verkaufsfähige Häuser zu verschaffen. Ist der Streit damit aus der Welt?

Nein, dadurch hat sich nichts geändert. Wenn jemand heute kommt und in Salzderhelden bauen möchte, dann kann ich kein Grundstück anbieten. Die Plätze, die wir haben, sind im Familienbesitz und nicht auf dem Markt. Interessenten können sich nur entscheiden, ob sie warten oder sich in anderen Orten umschauen. Wir brauchen freie Bauplätze, die wir tatsächlich vermitteln können. Allerdings müssen wir dafür keine großen Neubaugebiete ausweisen.

Sondern?  
Wir müssen noch stärker Immobilien erfassen, die absehbar frei werden, weil die Besitzer ein gewisses Alter haben und keine Kinder, die die Häuser übernehmen. Momentan sind solche Häuser schneller weg vom Markt, als sie angeboten werden. Wenn ein Ortsbürgermeister eine Liste von zehn Interessenten hat, die nur in seinem Dorf bauen wollen, dann muss man natürlich auch dafür eine Lösung finden. Grundsätzlich wäre ich bei Bauplätzen auf Vorrat aber vorsichtig – ähnlich wie die Verwaltung. Wir sollten eher auf Lücken setzen, die es heute gibt. Und wir müssen dafür sorgen, dass das Wohnen in alten Ortskernen auch für kleines Geld attraktiv wird. Sonst bekommen wir riesengroße Probleme.

Inwiefern?
In vielen Dorfkernen haben wir alte Häuser, die für mehrere Generationen konzipiert waren. Heute leben die Leute dort allein oder mit einer kleinen Familie. Ich befürchte, dass der Leerstand in diesen Gebäuden in den nächsten Jahren zunimmt.

Was ist zu tun?
Ein Ansatzpunkt sind Parkplätze für Anwohner. In den Dörfern tritt man aus der Haustür teilweise direkt auf die Straße. Da muss man den Mut haben, auch mal ein Haus wegzureißen und stattdessen Parkplätze zu schaffen. Oder einen Balkon. Vermieter können nicht nur das Geld rausziehen – sie müssen auch in die Immobilien investieren.

Vor allem in der Kernstadt wird oft kritisiert, dass Denkmalschutz-Auflagen Investitionen verteuern und damit den Leerstand erhöhen. Welche Handlungsmöglichkeiten hat die Stadt?
Die Verwaltung muss immer im Dialog sein und die Eigentümer ansprechen. Leider erreicht man gerade diejenigen, die ihre Häuser nicht in Ordnung haben, nur schwer. Trotzdem darf man nicht aufgeben, die Leute über Fördermöglichkeiten zu informieren. Zurücklehnen und warten bringt nichts, denn von sich aus melden sich diese Hausbesitzer nicht.

Wie weit kann die Stadt den Eigentümern entgegenkommen?

Denkmalbehörde ist nicht die Stadt Einbeck, sondern das Land Niedersachsen. Wenn das Land sagt: Dieser Keller ist denkmalgeschützt – dann ist das so. Aber auch mit dem Denkmalschutz kann man reden und klar machen: Es nützt nichts, wenn wir den 751. Keller erhalten, aber eine weitere Brachfläche bekommen. Ich weiß von Projekten, die an denkmalgeschützten Kellergewölben gescheitert sind. In solchen Fällen müssen wir künftig einen anderen Weg gehen. Das wird schwer – aber steter Tropfen höhlt den Stein. 

In der Innenstadt gibt es etliche ungenutzte Flächen. Dirk Heitmüller will die Einbecker Wohungsbaugesellschaft (EWG) in die Verantwortung nehmen: „Anstatt Ausschüttungen zu tätigen, sollte das Geld beispielsweise in eine Leerstands-Immobilie investiert werden.“

Sollten sich kommunale Unternehmen stärker engagieren, um denkmalgeschützte Häuser zu erhalten?
Ja, vor allem die EWG sehe ich da stärker in der Pflicht. Anstatt Ausschüttungen an die Gesellschafter zu tätigen, sollte das Geld beispielsweise in eine Leerstands-Immobilie investiert werden, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.
 
Wohnen statt Handel – ist das die Zukunft der Innenstadt?
Wenn ich mir alte Bilder der Marktstraße ansehe, stelle ich fest: So viele Schaufenster wie heute gab es früher nicht. Wohnen spielte in der Innenstadt eine größere Rolle und ich denke, dass wir da wieder hinkommen. Die Fußgängerzone der 70er und 80er Jahre ist jedenfalls nicht der Weg der Zukunft. Alfeld macht es vor und baut ein Altenwohnheim in der Fußgängerzone. Wir sollten genau beobachten, wie sich das entwickelt. Nach dem Motto: Lieber gut geklaut als schlecht selbst gemacht. Um so ein Projekt könnte sich die Sparkasse kümmern.

Der Leerstand in der Innenstadt ist hoch – aber bisher wollte niemand die Aufgabe des Leerstandsmanagers übernehmen. Wer muss sich darum kümmern?
Das sehe ich bei der Verwaltung – als Teil der Wirtschaftsförderung. Wenn man überhaupt Unternehmen ansiedeln will, dann muss man einen Überblick haben und jede Anfrage sofort bedienen können. Man darf sich nicht erst auf die Suche machen, wenn die Anfrage kommt, sondern die Angebote für verfügbare Geschäftsräume aus der Schublade holen.

Ist das mit dem vorhandenen Personal zu leisten?
Ich würde das als Bürgermeister zur Chefsache machen. Die jetzige Bürgermeisterin hat das in die Hände von Herrn Mertens gegeben. Aber ein Baudirektor hat auch andere Aufgaben. Ich sehe es als Aufgabe des Bürgermeisters, sich selbst um die Wirtschaftsförderung zu kümmern und Kontakt zu den Bürgern zu halten. 

Um Leerstand und Denkmalschutz geht es auch in einem Antrag der SPD für die Sitzung des Stadtentwicklungsausschusses am 27. August 2020:
Zum SPD-Antrag
Zur Stellungnahme der Verwaltung

 
Familienfreundlichkeit: 

Einbeck sieht sich gern als familienfreundliche Stadt. Was sind die wichtigsten Aufgaben?
Die Kita- und Krippenplätze in den Ortschaften sollten wir unbedingt erhalten. Nach dem bekannten Motto „kurze Beine – kurze Wege“. Wartelisten für Kitas und Krippen darf es nicht geben. Aus den Geburtenstatistiken wissen wir schließlich, wie viele Kinder in einem oder zwei Jahren nachkommen. Dann muss man auch dafür sorgen, dass es genügend Plätze gibt.

Die Krippengruppe in Iber ist gerade gestartet, an der Münstermauer gibt es Pläne für eine weitere Gruppe. Reicht das oder braucht Einbeck weitere Krippen?
Bedarf gibt es immer. Und ich sehe auch weitere Kindergärten, in denen man Krippengruppen schaffen kann. Nehmen wir den Kindergarten am Deinerlindenweg – der ist ähnlich alt und ähnlich gebaut wie der Kindergarten in Vogelbeck und damit ebenfalls reif für einen Neubau. Das sollten wir angehen und bei dieser Gelegenheit gleichzeitig neue Krippenplätze schaffen. Für solche Projekte gibt es in der Regel Fördermittel. Eigenmittel braucht man natürlich auch. Aber bevor ich den Neustädter Kirchplatz saniere oder die Tiedexer Straße ausbaue, würde ich das Geld lieber zugunsten von Kindern und Familien investieren.

Der Kindergarten am Deinerlindenweg - „reif für einen Neubau“, meint Dirk Heitmüller.


Auch in längere Öffnungszeiten der Kitas?
Wenn die Nachfrage da ist, muss man darüber nachdenken, ob man das anbieten kann und anbieten will. Ich nehme aber an, dass der Bedarf begrenzt ist. Es gibt in Einbeck nur noch wenige Industrieunternehmen, in denen Spätschicht gearbeitet wird.

Was ist noch wichtig für Einbecks Familienfreundlichkeit?
Die Multifunktionshalle eröffnet bald. Da müssen wir darauf achten, dass auch die Kinder und Jugendlichen aus den Dörfern etwas davon haben. Wenn es die Möglichkeit gibt, sich nachmittags in Iber in den Bus zu setzen und abends um 18 Uhr wieder nach Hause zu fahren, dann ist die Halle auch für diese Kinder ein Gewinn. 


Verwaltung:

Wie viele Arbeitgeber steht auch die Verwaltung vor einer Ruhestandswelle. Wie kann die Stadt genügend gute Mitarbeiter gewinnen?
Die Verwaltung muss ihren Nachwuchs selbst ausbilden und hoffen, dass er an Bord bleibt. Ein Mittel, um das zu erreichen, sind flexible Arbeitszeiten und die Möglichkeit, bei Interesse im Homeoffice zu arbeiten. Umliegende Orte haben bei der Personalsuche ja ähnliche Probleme wie Einbeck. Das sollte unter Nachbarn aber nicht dazu führen, dass man sich gegenseitig die Arbeitskräfte wegnimmt. 

„Eine Verwaltung darf sich nicht zurücklehnen und sagen: Es ist nicht unsere Aufgabe, die Bürger aktiv zu unterstützen“ - so Dirk Heitmüller.

Braucht die Verwaltung ein Spezialteam, das sich um Zukunftsthemen kümmert?
Jede Verwaltung muss sich als Dienstleister verstehen. Ich sehe viele Verwaltungsmitarbeiter, die motiviert sind und etwas schaffen wollen. Besonders unter den Jüngeren. Als Bürgermeister muss ich das den Leuten vorleben, ich muss Motivator sein. So kann ein Arbeitsklima entstehen, in dem die Mitarbeiter auf die Bürger zugehen und helfen, Probleme zu lösen.

Welche zum Beispiel?
Ich denke an Bauanträge. Eine Verwaltung darf sich nicht zurücklehnen und sagen: Es ist nicht unsere Aufgabe, die Bürger aktiv zu unterstützen. Wenn ein Antrag Schwächen hat, dann kann man sich doch zusammensetzen und nach einer Lösung suchen. Für so einen Service kann die Verwaltung durchaus eine Gebühr nehmen – aber sie muss ihn anbieten. Das ist dickes Brett. Aber ich bin überzeugt, dass es klappen kann.

 
Zukunft:

Wie knapp ist in den kommenden Jahren das Geld angesichts der Corona-Krise?
Ich befürchte, dass der nächste Bürgermeister in den nächsten drei bis vier Jahren nicht viel Spielraum für neue Akzente hat. Deshalb kann ich mir auch nicht vorstellen, dass sich Einbeck das geplante Wissensquartier in absehbarer Zeit leisten kann und leisten will. Ich baue lieber 12 Kindertagesstätten als ein Wissensquartier. Andere Dinge werden ebenfalls hinten runterfallen.

Wofür sollte die Stadt das Geld ausgeben, wenn es noch knapper wird?
Für Bildung und Schule. Gerade in den Grundschulen muss dringend etwas passieren. Ich denke an  die Sanitärräume, die teilweise extrem marode sind.

Was wird aus Dorfgemeinschaftshäusern und Friedhöfen?
Bei den Gemeinschaftshäusern sehe ich die Ortsräte in der Verantwortung. Sie müssen entscheiden, ob sie sich aus ihren eigenen Budgets an den Kosten beteiligen. Die vielen Friedhöfe auf den Dörfern können wir uns in der bisherigen Form nicht mehr leisten. Auf manchem Friedhof findet nur eine einzige Beerdigung im Jahr statt. Dem stehen hohe Kosten für die Unterhaltung gegenüber – von Heckenpflege bis Rasenmähen. Dieses Modell funktioniert bisher nur, weil die Gebühren für alle Friedhöfe zusammen berechnet werden – für den Zentralfriedhof in Einbeck und die Friedhöfe in den Dörfern. Zuschüsse der Ortsräte kommen hier nicht in Frage, weil Friedhofsgebühren immer kostendeckend kalkuliert werden müssen.

Wie kann eine Lösung aussehen?
Das wird die Zeit zeigen. Stellen wir uns einen alten Menschen in Brunsen vor, dessen Kinder anderswo leben. In so einem Fall macht es eigentlich keinen Unterschied, ob das Grab in Brunsen oder in Einbeck ist. Das politische Problem: Wenn ich heute entscheide, einen Friedhof zu schließen, dann habe ich die Kosten trotzdem noch für die nächsten 30 Jahre. Der Nutzen entsteht also erst in ferner Zukunft. Als nächsten Schritt kann ich mir dezentrale Friedhöfe für mehrere Dörfer vorstellen.

Wenn Dirk Heitmüller zum Bürgermeister gewählt wird – was wären die wichtigsten Projekte?
Ich befürchte, dass ich wegen Corona zuerst nur reagieren und nicht agieren kann. Ein wichtiges Ziel ist aber ein Low-Budget-Hotel, um den Tourismus zu fördern. Und im Fachwerk-Fünfeck müssen wir uns noch stärker zusammenschließen und gegenseitig füreinander werben. Es macht ja keinen Sinn, dass die Einbecker sagen: Fahrt nicht nach Northeim. Und die Northeimer sagen: Fahrt nicht nach Einbeck. Ein drittes wichtiges Thema ist schnelles Internet. Inzwischen hat auch die Telekom gesehen, wo der Hase langläuft und macht bessere Angebote. 

Rathaus in Kreiensen: „Unsere Aufgabe ist es zusammenzuwachsen und den Kreiensern das Gefühl zu geben, dass sie zu Einbeck gehören“, sagt Dirk Heitmüller.

Sollte Einbeck mit weiteren Gemeinden fusionieren?
Nein. Flächenmäßig gehört Einbeck schon jetzt zu den größten Kommunen in Niedersachsen. Wenn die Stadt noch weiter wächst, ist das irgendwann nicht mehr handhabbar. Unsere Aufgabe ist es nach wie vor, mit Kreiensen zusammenzuwachsen und den Kreiensern das Gefühl zu geben, dass sie zu Einbeck gehören. Das wäre auch ein wichtiges Thema für mich als Bürgermeister: Ich will mich in den Orten blicken lassen – nicht nur im Wahlkampf. Ich möchte immer wieder bei Ortsratssitzungen präsent sein, um von den Leuten zu hören, was wir tun können. Solche Besuche der Bürgermeisterin in Salzderhelden habe ich in den vergangenen Jahren vermisst.

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