Mündener Bürger bringen alte Häuser in Schuss

Zu den Schwierigkeiten schrumpfender Städte gehört oft Leerstand im historischen Zentrum. Im südniedersächsischen Hann. Münden setzt sich die Bürgergenossenschaft Mündener Altstadt seit 2013 für die Sanierung ungenutzter Fachwerkhäuser ein. Aufsichtsratsvorsitzender Friedhelm Meyer, früher städtischer Baudirektor, spricht im Interview über die erfolgreiche Initiative. Er sagt: „Die Mündener sind es gewohnt, sich für ihre Stadt zu engagieren.“ Bislang hat die Bürgergenossenschaft vier Objekte erworben. In zwei Fällen ist die Sanierung weitgehend abgeschlossen. Die Genossenschaft zählt 380 Anteilseigner.

Mit einem Haus in der Speckstraße (vorne links) begann die Arbeit der Bürgergenossenschaft.

Wie kam es zur Gründung der Bürgergenossenschaft?
Die Mündener sind sehr stolz auf ihre Altstadt mit mehr als 500 Fachwerkhäusern aus allen Epochen. Bereits 2007 haben engagierte Bürger das erste Denkmalkunst-Festival organisiert, um leerstehende Gebäude aus dem Dornröschenschlaf zu wecken und sie ins Blickfeld potenzieller Investoren zu rücken. 2013 folgte zur vierten Festival-Auflage die Gründung der Bürgergenossenschaft. Unser erstes Projekt war die Rettung eines durch Feuer stark beschädigten Fachwerkbaus. Die Genossenschaft hat das Haus gekauft und während des Festivals in einem neuntägigen Rund-um-die-Uhr-Einsatz die Sanierung gestartet. Unsere ehrenamtlichen Bauhelfer waren zwischen acht und 80 Jahren alt.

Wie viele Häuser haben Sie seitdem saniert?
Zwei Gebäude sind nahezu fertig und werden größtenteils für Wohnungen genutzt. In einem der Häuser, in der Speckstraße, haben wir das Erdgeschoss an eine lokale Künstler-Gruppe vermietet. Ein drittes Haus ist ausgeräumt und wird gerade entkernt. Ein viertes Objekt haben wir bereits erworben – hier stecken wir in den Planungen für die Sanierung.

Aufsichtsratsvorsitzender Friedhelm Meyer zeigt die sanierten Innenräume im Haus Speckstraße 7.

Wie groß ist die Unterstützung für die Genossenschaft?
Schon in der ersten Versammlung 2013 haben 173 Bürgerinnen und Bürger die Gründungsurkunde unterschrieben und Anteile zum Stückpreis von je 100 Euro erworben. Es war uns von Anfang an wichtiger, viele Menschen anzusprechen als wenige Vermögende, die hohe Summen zur Verfügung stellen. Heute zählt die Genossenschaft 380 Anteilseigner.

Wie erklären Sie sich den starken Rückhalt?
Die Mündener sind es gewohnt, sich für ihre Stadt zu engagieren. Ein Beispiel: Als ab 1997 die Umgestaltung der Innenstadt anstand, haben wir zentrale Plätze um Kirche und Rathaus gemeinsam mit den Einwohnerinnen und Einwohnern geplant. Das war ein aufwändiger Prozess – aber es lohnt sich, denn oft sind Bürgerinnen und Bürger die besten Experten. Mitsprachemöglichkeiten tragen zudem dazu bei, dass sich Menschen mit ihrer Stadt identifizieren.
Eine weitere Motivation mag der Ärger vieler Bürger über eine auswärtige Familie sein, die mehrere Fachwerkhäuser in Münden seit langem leer stehen lässt. 2015 mündete der Protest in einen großen Trauermarsch durch die Altstadt. Es gibt sicherlich Leute die sagen: Solchen Immobilienbesitzern wollen wir etwas entgegensetzen.

Geprägt von Fachwerkhäusern: die Altstadt von Hann. Münden.

Wie finanzieren Sie Ihre Arbeit?
Unser Basiskapital stammt aus dem Verkauf der Genossenschaftsanteile – doch das reicht natürlich nicht aus, um die Sanierungen am Laufen zu halten. Wir sind deshalb froh, dass uns die örtliche Sparkasse und die örtliche Volksbank mit Hypothekendarlehen zu identischen Konditionen unterstützen. Regelmäßige Einkünfte erzielen wir durch Mieten – wobei unsere Preise mit gut fünf Euro pro Quadratmeter bei Neuverträgen sehr moderat sind. Eine Zusatzeinnahme kommt aus dem Verkauf von Inventar, das wir überwiegend aus Haushaltsauflösungen erhalten. Diese Möbel bieten wir in einem Geschäft in der Innenstadt an – ein permanenter Flohmarkt, der einen kleinen Gewinn abwirft.

Wie wählen Sie die Sanierungsobjekte aus?
Die zentrale Rolle spielt dabei unser Vorstand-Duo: Bernd Demandt ist seit Jahrzehnten Denkmal-Aktivist und hat viel Erfahrung in der Sanierung alter Häuser. Sabine Momm ist als Architektin ebenfalls vom Fach – gemeinsam machen sie sich auf die Jagd nach passenden Gebäuden.
Bei der eigentlichen Sanierung packen Mitglieder der Genossenschaft mit an. Auf unseren aktuellen Baustellen ist rund ein halbes Dutzend Bauhelfer regelmäßig ehrenamtlich im Einsatz. Andere Arbeiten vergeben wir an Fachfirmen.

Neues Sanierungsobjekt in der Ziegelstraße: ein Wohnhaus aus dem späten 17. Jahrhundert.

Was braucht es, damit eine Bürgergenossenschaft erfolgreich arbeiten kann?
Sie brauchen einen Menschenfänger – jemanden, der glaubwürdig ist, begeistern kann und ein Sanierungsprojekt von Anfang bis Ende fachlich in der Hand behält. Dieser Mensch muss gleichgesinnte Helfer finden. Ebenfalls sehr wichtig ist jemand, der die Arbeit hinter den Kulissen erledigt. Mit dem handwerklichen Teil allein ist es ja nicht getan. Eine eingetragene Genossenschaft muss auch formal am Leben gehalten werden. Dazu gehören Jahresabschlüsse, Steuererklärungen und weitere Verpflichtungen.

Warum haben Sie sich für eine Genossenschaft entschieden?
Die Alternative wäre ein eingetragener Verein gewesen – doch da müssen die Mitglieder jedes Jahr einen Beitrag bezahlen und das Geld ist weg. In einer Genossenschaft bleibt das Kapital bestehen. Wer nicht mehr dabei sein möchte, kann sich die Anteile mit einer Wartefrist von zwei Jahren auszahlen lassen.

An ihrem Haus in der Siebenturmstraße wirbt die Bürgergenossenschaft um Unterstützung.

Vor welchen Fallstricken würden Sie warnen?
Vor zu großer Nähe zur Politik. Wenn es nicht gelingt, überparteilich zu arbeiten, ist das Projekt zum Scheitern verurteilt. Ich kenne Beispiele, wo der Bürgermeister vorneweg marschiert ist – mit negativem Ergebnis. Das Problem: Selbst wenn jemand gewählt ist, hat er oder sie immer viele Menschen gegen sich. Zudem werden politische Ämter nur auf Zeit vergeben. Wir haben schon bei der Gründung darauf geachtet, dass kein aktives Mitglied der örtlichen Politik in den Gremien der Bürgergenossenschaft sitzt. 

Wäre es nicht naheliegend, dass sich öffentliche Wohnungsunternehmen um die Sanierung in den Altstädten kümmern?
Sofern es kommunale Wohnungsunternehmen gibt, ist das sicherlich eine Möglichkeit. In vielen Städten gibt es solche Gesellschaften aber nicht mehr und für eine Neugründung fehlt in der Regel das Geld. In Hann. Münden verfügen wir zwar über eine örtliche Wohnungsgenossenschaft. Doch diese konzentriert sich sehr erfolgreich auf Investitionen in Neubauten. Hinzu kommt: Die erzielbaren Mieten sind oft gering, sodass die Sanierung eines alten Fachwerkhauses für ein gewinnorientiertes Unternehmen schwer zu refinanzieren ist. 

Heißt das, dass Fachwerk-Sanierung nur von Ehrenamtlichen gestemmt werden kann, weil sie sich für Unternehmen oder Privatleute nicht rechnet?
Es gibt auch Gegen-Beispiele. Ich kenne einen örtlichen Unternehmer, der schon mehrere Gebäude gekauft und saniert hat, weil er die Investitionen steuerlich abschreiben kann. Das setzt natürlich ein gewisses Einkommen voraus, bei dem man überhaupt Steuern zahlen muss. Sonst nützen auch erhöhte Abschreibungsmöglichkeiten nichts, die der Staat beispielsweise für denkmalgeschützte Baudenkmäler geschaffen hat. 

Mehr Informationen gibt es bei der Bürgergenossenschaft Mündener Altstadt.

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