Wittenberger Rückkehrertag holt Menschen in die alte Heimat

Wo die Bevölkerungszahlen sinken, da fehlt es Unternehmen meist an Fachkräften. Der Landkreis Wittenberg im östlichen Sachsen-Anhalt wirbt deshalb seit 2017 jedes Jahr Ende Dezember bei einem Rückkehrertag um Einwohner. Zwei Fachleute erklären das Konzept: Harald Wetzel, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Anhalt-Bitterfeld - Dessau - Wittenberg mbH (WFGABDW), und Krassimira Kranz, Unternehmensbetreuerin am Standort Wittenberg. Lange litt die Region unter starker Abwanderung. Harald Wetzel: „Wir versuchen, einen Teil der Menschen zurückzugewinnen.“

Lutherstadt Wittenberg: Seit 2017 werben dort Unternehmen direkt nach Weihnachten um knappe Fachkräfte. Foto: ErdeundMeer / pixelio.de

Nach Weihnachten machen viele Menschen Urlaub – Sie veranstalten einen Rückkehrertag. Warum?
Wetzel: Bis in die 2010er Jahre hatten wir hier eine hohe Abwanderung. Tausende haben die Region verlassen, um in Berlin, Leipzig oder in den westdeutschen Bundesländern zu arbeiten. Das führt zu vielen Problemen – nicht zuletzt zu einem starken Arbeitskräftemangel. Wir versuchen deshalb, einen Teil der Menschen zurückzugewinnen. Zwischen den Jahren ist dafür der beste Zeitpunkt, weil viele ohnehin in der alten Heimat sind, um Familie und Freunde zu besuchen.
Kranz: Der allerbeste Tag ist der 27. Dezember – dieser Termin hat sich fest etabliert. An den Weihnachtstagen kann man niemanden ansprechen. Zu Silvester sind viele schon wieder weg. Aber unmittelbar nach Weihnachten haben die meisten Zeit für einen kleinen Ausflug. 

Wie groß ist der Arbeitskräftemangel, den Sie bekämpfen wollen?
Wetzel:
Wir betrachten nicht nur Wittenberg, sondern die gesamte Region mit den Landkreisen Wittenberg, Anhalt-Bitterfeld und der Stadt Dessau-Roßlau. Insgesamt sprechen wir über rund 5.500 offene Stellen, die oft nur schwer zu besetzen sind. Eine weitere Herausforderung kommt auf uns zu: In den nächsten Jahren müssen die Unternehmen die geburtenstarken Jahrgänge ersetzen, die nach und nach in Rente gehen.

Wie viele Arbeitgeber präsentieren sich beim Rückkehrertag in Wittenberg?
Wetzel: In der Regel stellen gut 30 Unternehmen aus. Hinzu kommen die Stände der Arbeitsagentur und der Kreishandwerkerschaft. Damit ist der Saal gut gefüllt. Man muss ehrlich sagen, dass sich die Teilnahme nur dann lohnt, wenn man attraktive Jobs zu bieten hat. Überspitzt gesagt: Für den Mindestlohn kommt niemand zurück. Wir treffen deshalb eine Vorauswahl von meist 200 Betrieben. Die sprechen wir an und fragen: Möchtet ihr dabei sein?

Fester Termin für den Rückkehrertag ist der 27. Dezember - gut geeignet für frühere Wittenberger auf  Weihnachtsbesuch. Plakat: WFGABDW

Wie messen Sie den Erfolg?
Kranz: Vor der Pandemie hatten wir rund 500 Besucherinnen und Besucher im Wittenberger Stadthaus. Ich denke, das ist eine sehr ordentliche Resonanz. Leider lässt sich schwer ermitteln, wie viele Menschen tatsächlich zurückkehren. Da aber viele Firmen immer wieder kommen, gehen wir davon aus, dass es sich für sie lohnt. Und natürlich kennen wir konkrete Fälle, in denen Stellen besetzt wurden. 

Warum ist die systematische Erfolgsmessung so schwierig?
Kranz:
Personalthemen sind sensibel, nicht jedes Unternehmen spricht darüber. Hinzu kommt, dass zwischen Veranstaltung und Rückkehr oft ein Jahr oder mehr vergeht. Damit eine Familie umzieht, braucht es ja nicht nur einen attraktiven Arbeitsplatz. Wohnung, Kinderbetreuung, Schule, eventuell ein zweiter Job für Partnerin oder Partner – all das muss passen. Das dauert seine Zeit.

Wie werben Sie für den Rückkehrertag?
Wetzel:
Am allerwichtigsten: gemeinsam! Wir werben nicht separat für Wittenberg, sondern für alle vier Rückkehrertage in der Region. Das sind neben Wittenberg die Veranstaltungen in Bitterfeld-Wolfen, Dessau-Roßlau und Köthen. Zusammen haben wir genügend Budget für eine sichtbare Kampagne in Zeitungen, auf Plakaten, im Radio, in den sozialen Medien. Wir sprechen zum einen die Einheimischen an, damit sie es Freunden und Verwandten sagen. Zum anderen richten wir uns an Pendler, die zwar bei uns leben, aber nicht hier arbeiten. Die erreichen wir zum Beispiel in den Zügen.

Vier Rückkehrertage finden in der Region zwischen Wittenberg und Bitterfeld statt - dafür werben die Kommunen mit einer gemeinsamen Kampagne. Plakat: WFGABDW

Was motiviert Menschen zur Rückkehr?
Kranz: Ein wichtiges Argument ist natürlich der Arbeitgeber. Ich denke beispielsweise an ein Wittenberger Unternehmen, das Speicher für erneuerbare Energien herstellt. Das ist ein Zukunftsfeld, in dem viele gerne arbeiten wollen. Andere planen die Rückkehr aus privaten Gründen - zum Beispiel, weil die Eltern im Alter mehr Unterstützung brauchen.
Wetzel: Wieder andere wollen sich den Wunsch vom Eigenheim erfüllen. In vielen Ballungsräumen ist das ja kaum bezahlbar. Vor Kurzem habe ich mit einem Mann aus Berlin gesprochen, der deshalb zurückgekommen ist. Gerade in der Pandemie haben viele gemerkt, dass sie auf dem Land teilweise besser leben könnten als in der Stadt. Hinzu kommt: Der Trend zum Homeoffice relativiert die Entfernung vom Arbeitgeber.

Was würden Sie Kommunen raten, die einen Rückkehrertag organisieren wollen?
Wetzel:
Vernetzung ist wichtig. Zum einen mit umliegenden Städten, um sich die Werbekosten zu teilen. Zum anderen mit Partnern wie der Arbeitsagentur. Die Arbeitsagentur stellt beim Rückkehrertag nicht nur ihr Stellenangebot vor, sie unterstützt uns auch bei der Organisation. Das ist besonders am Veranstaltungstag wichtig, wenn man jede Hand braucht.
Kranz: Ideal ist ein zentraler Veranstaltungsort in der Stadt. Wir erleben das beim Wittenberger Rückkehrertag, der unmittelbar neben einem Einkaufszentrum stattfindet. Der Vorteil ist, dass man so leichter Menschen mit ihren Familien anzieht: Die einen kommen zu uns, die anderen tauschen nebenan Geschenke um.

Kann der Rückkehrertag 2021 trotz Pandemie stattfinden?
Wetzel:
Das hoffen wir sehr – aber sicher ist es nicht. In Köthen und Bitterfeld sind die Veranstaltungen bereits abgesagt. In Wittenberg und Dessau laufen die Vorbereitungen weiter. Ob die Events über die Bühne gehen können, wird sich kurzfristig entscheiden. Sicher ist nur: Den Rückkehrertag 2022 organisieren wir auf jeden Fall. Dann hoffentlich ohne Einschränkungen durch Corona.*

Hier gibt es mehr Infos zu den Rückkehrertagen in Wittenberg, in der Region und in Sachsen-Anhalt

*Hinweis:
Inzwischen musste auch der Wittenberger Rückkehrertag 2021 wegen der Corona-Pandemie abgesagt werden.
(Stand: 12. Dezember 2021)

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