Personalmangel und Langzeitarbeitslosigkeit: Wie passt das zusammen?

Es klingt wie ein Widerspruch: Während viele Firmen händeringend Personal suchen, warten Hunderte Frauen und Männer seit Jahren vergeblich auf den passenden Job. In Zahlen: Mehr als 500 Langzeitarbeitslose zählte die Arbeitsagentur im Herbst 2023 allein in ihrem Einbecker Geschäftsstellenbezirk. 500 Menschen, die seit mindestens einem Jahr auf eine Stelle oder Weiterbildung warten. Ein Widerspruch? Nein, sagt Tobias Broda, Leiter Arbeitnehmer- und Arbeitgeberkunden. Denn in vielen Fällen werde die Arbeitsvermittlung durch unterschiedlichste Einschränkungen erschwert – unzureichende Kinderbetreuung, mangelnde Motivation, psychische Belastungen. „Ganz viel ist Gesundheit.“ 

Ein Schlüssel zum Erfolg sei individuelle Betreuung. „Fallmanagement ist wertvoll, um an den Hemmnissen zu arbeiten“, sagt Broda. Das sieht auch Stefan Schäfer so, Geschäftsführer des Jobcenters für den Landkreis Northeim. In einer Studie hätten Arbeitsmarktforscher die Gründe für eine erfolgreiche Rückkehr ins Erwerbsleben untersucht. „Die Erkenntnis war: Jeder Fall ist anders.“ 

„Viele sind isoliert. Sie trauen sich nicht raus.“

Wie die Jobsuche gelingen könne, zeige das Beispiel von „Hans“, einem Kunden des Jobcenters. Nach langen vergeblichen Bemühungen habe der mit dem Tanzen begonnen – und als „Hans, der Tänzer“ neues Selbstvertrauen gewonnen. „Da war er auf einmal auf Augenhöhe“, schildert Schäfer. Und nicht nur das: Beim Tanzen knüpfte „Hans“ wichtige Kontakte, die ihn in einen passenden Job brachten. Kontakte, die anderen Arbeitsuchenden fehlen. Schäfer: „Viele sind isoliert. Sie trauen sich nicht raus. Sie bewegen sich im eigenen Netzwerk und kommen aus dem Trott nicht raus.“

Neben dem fehlenden Netzwerk sind gesundheitliche Probleme ein häufiges Hemmnis – genau darauf zielt der Service-Point Gesundheit und Arbeit ab, der seit Mitte 2022 in Northeim besteht. Das Ziel: In einem ganzheitlichen Ansatz sollen der Gesundheitszustand und damit letztlich die Beschäftigungsfähigkeit verbessert werden. Um das zu schaffen, arbeiten Fallmanager, Ärzte, Psychologen und Gesundheitscoaches zusammen. Finanziert wird das Modellprojekt aus Bundesmitteln.

„Die Erfahrungen, die wir machen, sind extrem positiv.“

Der Service-Point bietet 125 Plätze für Kundinnen und Kunden des Jobcenters. Wird ein Platz frei, kann ein Kandidat nachrücken. Von den bisherigen Teilnehmern sind laut Schäfer knapp 20 Prozent wieder in Arbeit gekommen – aus seiner Sicht eine gute Quote. „Die Erfahrungen, die wir machen, sind extrem positiv“, sagt er. 

Und welche Rolle spielt die klassische Umschulung, bei der Arbeitsuchende einen neuen Berufsabschluss erwerben? Qualifizierungsbedarf scheint durchaus vorhanden zu sein, denn 6 von 10 Arbeitslosen im Landkreis Northeim fehlt eine abgeschlossene Ausbildung – ebenfalls ein wichtiges Hemmnis bei der Jobsuche. 

Rund 30 Langzeitarbeitslose hat das Jobcenter 2023 in eine betriebliche oder schulische Umschulung vermittelt. „Seit Jahren waren es nicht so viele“, sagt Schäfer. Eine mengenmäßige Begrenzung gebe es dabei nicht. Dass die Zahl der Umschulungen nicht höher sei, liege nicht an mangelndem Budget, sondern eher am Fehlen geeigneter Kandidaten. 

Langzeitarbeitslosigkeit im Raum Einbeck*:

Oktober 2014: 712
Oktober 2015: 730
Oktober 2016: 612
Oktober 2017: 577
Oktober 2018: 505
Oktober 2019: 399
Oktober 2020: 503
Oktober 2021: 539
Oktober 2022: 473
Oktober 2023: 517

Den Anstieg in den vergangenen Jahren führt die Arbeitsagentur u.a. auf die Corona-Krise und den Zuzug aus der Ukraine zurück.

*Geschäftsstellenbezirk Einbeck der Arbeitsagentur Göttingen

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