„Wir müssen AfD-Wähler reinholen in den Dialog“

Das Theater Altenburg Gera bietet Musik, Ballett und Schauspiel – und befindet sich mitten in einer politischen Auseinandersetzung. Ganz in der Nähe versammeln sich montags rechte Demonstranten zum Zug durch die Geraer Innenstadt. Die einstige Bezirksstadt der DDR hat Jahre des Abstiegs hinter sich. Im Stadtrat stellt die AfD knapp 30 Prozent der Mitglieder. Kay Kuntze, Generalintendant des Theaters, wirbt für Gesprächsbereitschaft statt Ausgrenzung gegenüber den Wählerinnen und Wählern der Partei. Er sagt: „Das ist unsere große Aufgabe: den gesellschaftlichen Drift-Bewegungen entgegenzuwirken.“

Kay Kuntze ist seit 2011 Generalintendant des Theaters Altenburg Gera. Er meint: „Ostthüringen gilt als abgehängt und wird teils schlechtgeredet – das führt zu Frustration.“ Foto: Theater / Ronny Ristok

Sie bieten Kultur in einer Stadt, die als rechte Hochburg gilt. Wie gehen Sie mit dieser Aufgabe um? 
Wir versuchen, ein breites Publikum anzusprechen, möglichst die ganze Stadtgesellschaft. In vielen Stücken geht es um Vielfalt, Toleranz, Benachteiligung, auch um rassistische oder faschistische Strukturen. Die besondere Qualität von Theatern ist ja, unterschiedliche Leute zusammenzubringen. Unsere Gesellschaft hat nicht mehr viele Räume, in denen mehrere hundert Menschen über einige Stunden zusammensitzen und sich mit den gleichen Themen beschäftigen. Das ist unsere große Aufgabe: den gesellschaftlichen Drift-Bewegungen entgegenzuwirken. Spielorte und Formate wählen wir so, dass die Schwelle niedrig ist.

Die Kulturszene gilt als überdurchschnittlich vielfältig, liberal, international. Ist es schwieriger geworden, in Gera zuhause zu sein?
Das kann ich nicht sagen. Von Anfeindungen ist mir nichts bekannt. Es gibt die ärgerlichen Montagsspaziergänge, die zum Teil mit Kundgebungen vor unserem Theater enden. Davon distanzieren wir uns. 

„Ein Konzert ist eine schöne Vielfalts-Erfahrung“

Montags auf Distanz gehen, am Wochenende zusammen im Theater sitzen – ist das konsequent?
Ich halte gar nichts von Ausgrenzung. Im Gegenteil: Wir müssen AfD-Wähler reinholen in den Dialog. Ein Konzert zum Beispiel ist eine schöne Vielfalts-Erfahrung. Da spielen 60 Musiker unterschiedliche Instrumente, jeder hat eine eigene Sprache, und trotzdem machen sie zusammen Musik. In der Pause kommt man zwangsläufig ins Gespräch.

Schmuckes Mehrspartenhaus: das Theater Altenburg Gera.

Wir erklären Sie sich, dass Ostthüringen zu einer Hochburg der AfD geworden ist?
Ostthüringen gilt als abgehängt und wird teils schlechtgeredet – das führt zu Frustration. Ich bin relativ sicher, dass es gerade auf kommunaler Ebene gar nicht so sehr um die völkisch-nationalistischen Themen geht, sondern dass die AfD eher aus Frust über „die da oben“ gewählt wird. Deshalb wird es auch sehr interessant, wie das Antreten von Sahra Wagenknecht die Stimmverteilung verändert.

„Je häufiger man Negativ-Urteile hört, desto häufiger sagt man es selbst“

Sie sagen: Ostthüringen wird schlechtgeredet. Hinzu kommt das Problem der Abwanderung. Was macht das mit den Menschen?
Das ist eine Spirale nach unten. Je häufiger man Negativ-Urteile hört, desto häufiger sagt man es selbst. Ein gewisser Anteil von Menschen hat sich in ihrem Frust eingerichtet, das kann ja auch ganz bequem sein. Diese Leute stellen aber nicht die Mehrheit – auch nicht in Gera. Das Verblüffende ist, dass in Umfragen die Lage im Land oft viel schlechter beurteilt wird als die eigene Lage. Der Gesellschaft geht es schlecht – aber mir geht es gut. Das hat auch damit zu tun, dass es den Leuten von Populisten eingeredet wird. 

Welche Probleme treiben AfD-Wähler um?
Da kann ich schwer mutmaßen. In Gesprächen nehme ich vor allem eine Antihaltung wahr. Viele sehen die Entwicklung unseres Landes extrem negativ. Stichworte sind der Krieg in der Ukraine oder die so genannte Überfremdung. Ein anderes Thema: Die Wunden der Wende sind längst nicht überwunden. Eher im Gegenteil. Viele Führungspositionen sind von Menschen mit Westbiografie besetzt. Daraus entstehen Trotz und Identitätsverlust. Das Land, in dem man groß geworden ist, ist abhandengekommen. Und in dem neuen Land fühlt man sich als Bürger zweiter Klasse.

Aktuelle politische Probleme spielen keine Rolle?
Im Einzelfall sicherlich. Ich denke an den katastrophalen Zustand vieler Schulen, Bahnausfälle, Defizite bei der Digitalisierung. Natürlich wird da gefragt: Warum ist das in Deutschland nicht möglich? Oder ist es nur im Osten nicht möglich und im Westen ist es besser? Das trägt zur Unzufriedenheit bei, die Leute dann möglicherweise zur AfD rüberdrängt. Die AfD zu wählen, ist natürlich ein Spiel mit dem Feuer. Reale Lösungen hat die Partei nicht. Und ihr wahres Gesicht würde man erst sehen, wenn sie regiert. 

„Ohne internationale Künstler wären wir nicht arbeitsfähig“

Was würde es für Ihr Theater bedeuten, wenn die AfD an der Landesregierung beteiligt wäre?
Der völkische Gedanke ist gerade in der Thüringer AfD stark – das könnte zu einem ganz anderen Ausmaß von Rassismus und Ausgrenzung führen. Was wäre zum Beispiel, wenn unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter künftig einen deutschen Pass bräuchten? Wir sind 320 Leute aus 30 Nationen. Ohne internationale Künstler wären wir nicht arbeitsfähig. Über die Auswahl von Intendanten könnte die AfD versuchen, das Programm in einem völkischen Sinn zu beeinflussen.

Was müsste passieren, um Enttäuschte für die Demokratie zurückzugewinnen?
Oft geht es mehr um Stimmungen als um das Faktische. Der aktuellen Bundesregierung gelingt es einfach nicht, eine Aufbruchsstimmung zu vermitteln. Das sind die Grünen mit teils besserwisserischer Attitüde. Da ist der Kanzler, der oft abtaucht. Das müsste sich ändern. Wenn es um eine positive Stimmung geht, sind aber auch wir Theater gefragt. Wir müssen für ein tolerantes, freudvolles Miteinander stehen. Ich will, dass die Leute mit dem Gefühl nach Hause gehen: Ich habe gerade zwei geile Stunden erlebt. Solche Erlebnisse bauen Frust ab und spiegeln zurück auf das eigene Leben. 

Mehr zum Thema:

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(Reportage)

„Frust und Strukturschwäche geben Rechtspopulisten Auftrieb“
(Interview mit Arbeitssoziologin Sarah Hinz)

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