„Die demokratischen Parteien erklären zu wenig“

20 Kilometer östlich von Gera liegt die 14.000-Einwohner-Stadt Schmölln. Auch hier ist die AfD stark – bei der letzten Bundestagswahl lag sie mit 32 Prozent der Stimmen deutlich vor SPD und CDU. Auffällig: Schon seit 2015 ist Sven Schrade (SPD) Schmöllner Bürgermeister. 2021 wurde er mit zwei Dritteln der Wählerstimmen wiedergewählt. Im Interview spricht Schrade über Bürgernähe, Kommunikation und die Sorgen der Menschen in seiner Stadt. Er warnt: „Die Leute gehen uns von der Fahne, weil sie nicht mehr verstehen, wie eine Entscheidung zustande kommt oder umgesetzt werden soll.“ Schrade ist auch stellvertretender Vorsitzender der SPD in Thüringen. 

Erfolgreich als SPD-Politiker in Ostthüringen: der Schmöller Bürgermeister Sven Schrade. Foto: Schrade

Im Osten Thüringens ist die AfD besonders erfolgreich. Wie behaupten Sie sich als Bürgermeister von der SPD?
Vielleicht habe ich einfach etwas Glück mit den Zeitfenstern (schmunzelt). In Schmölln wird seit dem Rücktritt des damaligen Bürgermeisters im Jahr 2009 in einem anderen Turnus gewählt. 2021 habe ich mich gegen zwei parteilose Kandidaten durchgesetzt. In diesem Jahr stehe ich als Bürgermeister nicht zur Wahl. Ich denke, was mir generell hilft, ist das nüchterne Abarbeiten von gesteckten Zielen. Und eine gewisse Nahbarkeit. 

Stichwort Nahbarkeit: Was machen Sie besser als andere?
Bürgermeister müssen schon durch ihr Amt nah an den Menschen sein. Gerade in Kleinstädten sind sie die ersten Ansprechpartner für die Bürgerinnen und Bürger. Schmölln ist so überschaubar, dass ich bei fast jeder Einwohnerversammlung, bei fast jedem Vereinsfest bin.

Schmucke Kleinstadt: Blick auf den Schmöllner Markt. 

Was sind die Themen, die die Bürger bewegen?
In letzter Zeit geht es oft um Bundesthemen wie Energiewende, Heizungsgesetz oder Ukraine-Krieg. Gerade hier im Osten gibt es starke Kritik an den Waffenlieferungen und einen großen Wunsch, mit Russland besser auszukommen. Auch die Wirtschaftslage beschäftigt viele Menschen.

„In Krisenzeiten sind viele empfänglich für einfache Antworten“

Wie erklären Sie sich, dass die AfD die Sorgen so erfolgreich für sich nutzt?
Seit Corona sind wir fast nur noch im Krisenmodus. Erst die Pandemie, dann der Krieg Russlands gegen die Ukraine mit seinen Folgen für Inflation und Energiepreise. Davon sind die Leute so verunsichert und krisengebeutelt, dass manchmal die Vernunft aussetzt. Der AfD gelingt es, die emotionale Ebene anzusprechen. Das ist eine große Gefahr, denn gerade in Krisenzeiten sind viele empfänglich für einfache Antworten. Es ist ja nicht so, dass die AfD adäquate Lösungen für eine komplexe Welt anbieten würde. Teilweise ist es paradox: Die Partei wird von Leuten gewählt, deren Interessen sie überhaupt nicht vertritt. 

Warum schaffen andere nicht, was der AfD gelingt?
Die demokratischen Parteien denken die Lebenswirklichkeiten nicht ausreichend mit und erklären zu wenig. Oft orientieren sie sich zu sehr an großen Zielen und machen sich zu wenig Gedanken, wie sie dafür Akzeptanz schaffen können. Die Leute gehen uns von der Fahne, weil sie nicht mehr verstehen, wie eine Entscheidung zustande kommt oder umgesetzt werden soll. 

Heruntergekommene Häuser gibt es auch in Schmölln – sie bilden aber eher die Ausnahme. 

Was würden Sie den demokratischen Parteien raten?
Sie müssen aus der Perspektive der Wähler denken und besser kommunizieren. Das klingt banal, aber beim Heizungsgesetz haben wir gesehen, was alles schieflaufen kann. Das Ergebnis ist zwar ein tragbarer Kompromiss. Aber in den Monaten vor dem Beschluss ging die Kommunikation der Ampel wild durcheinander. Strategische Spielereien werden von den Wählerinnen und Wählern nicht honoriert. 

„Ohne Akzeptanz für unser politisches System wird es kritisch“

Wie dringen Sie mit Ihrer Kommunikation zu den Bürgern durch?
Ich weiß nicht, ob ich gut durchdringe. Das werde ich bei den nächsten Wahlen sehen. Im Amtsblatt berichte ich regelmäßig über zwei bis drei aktuelle Themen, die mir wichtig sind. Einmal im Quartal gibt es eine Bürgermeister-Sprechstunde bei Facebook. Meist ist mein Terminkalender auch gut gefüllt mit Vereinsterminen. Da gehe ich hin, um möglichst nah dran zu sein. 

Was braucht es noch, um den Aufstieg der Rechtspopulisten zu stoppen?
Die Leute müssen besser verstehen, wie unser politisches System funktioniert. Welche wichtige Rolle zum Beispiel Parteien spielen. Das ist gerade im Osten noch nicht überall angekommen. Deshalb wäre es wichtig, die politische Bildung in der Schule noch mehr zu verankern. Ohne Akzeptanz für unser politisches System wird es kritisch. 

Mehr zum Thema:

„Wir müssen AfD-Wähler reinholen in den Dialog“
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