„Wir brauchen Wohnraum in der Innenstadt – gerade für die Älteren“

Im zweiten Teil des Doppelinterviews diskutieren die Ratsmitglieder Antje Sölter (CDU) und Dirk Heitmüller (SPD) über den Leerstand in Einbecks Kernstadt und die Ausweisung von Neubaugebieten. Unisono kritisieren sie kurzsichtige Entscheidungen vergangener Jahrzehnte. Sölter ist Ortsbürgermeisterin in Vardeilsen und Avendshausen sowie stellvertretende Bürgermeisterin der Stadt. Heitmüller ist Ortsbürgermeister in Salzderhelden.

Blick über Einbecks Innenstadt. "Das größte Problem ist der Leerstand in den Geschäftshäusern", sagt Antje Sölter.

Einbecks Innenstadt leidet unter Leerstand. Was ist zu tun?

Sölter: Das größte Problem ist der Leerstand in den Geschäftshäusern. Das hat auch damit zu tun, dass viele Eigentümer die Mieten sehr hoch angesetzen. Ich kann das nicht nachvollziehen: Warum lasse ich ein Gebäude lieber leer stehen statt einem Gründer zu einer geringeren Miete eine Chance zu geben? Leider kann die Politik da nicht viel tun, denn wir können niemandem die Miete vorschreiben.

Gibt es einen Ausweg?

Sölter: In vielen Fällen führt die Wirtschaftsförderung bereits Gespräche mit den Eigentümern. Aber versuchen sie mal, einem 80-Jährigen zu erklären, warum er sein Haus billiger vermieten soll. Das ist nicht einfach. Wir müssten versuchen, egoistisches Denken zu überwinden. Aber ich habe dafür kein Patentrezept. Eine Alternative zur geschäftlichen Nutzung wäre, heutige Geschäftsräumen zu Wohnungen umzubauen. Wir brauchen Wohnraum in der Innenstadt – gerade für die Älteren, die ihr Haus am Stadtrand verkaufen.

Heitmüller: Die Gebäude sind teilweise im Besitz einer Generation, die nicht mehr bereit ist zu investieren. Wer nimmt mit 75 oder 80 Jahren noch einen Kredit von 50.000 oder 100.000 Euro auf? Das kann vielleicht die nächste Generation machen und sagen: Ich habe hier eine Immobilie, mit der muss dringend etwas geschehen. Deshalb investiere ich.

Welche Rolle kann die Stadt beim Leerstandsmanagement spielen?


Sölter: Wie gesagt: Die Wirtschaftsförderung führt schon heute Gespräche mit Eigentümern. Das ist sicherlich richtig, um die Leute über Fördermöglichkeiten zu informieren.

Heitmüller: Wenn man das intensiv betreiben will, braucht man mehr Personal – ein bis zwei zusätzliche Stellen wären sinnvoll. Dann könnte man wirklich auf die Leute zugehen und sagen: Ich habe hier ein vielversprechendes Startup, das Geschäftsräume sucht. Finden wir eine Lösung?

Wie viele Neubaugebiete verträgt eine Stadt, deren Einwohnerzahl kontinuierlich schrumpft?
 
Antje Sölter.
Dirk Heitmüller.
Sölter: Ich bin sicher, dass wir neue Bauplätze schnell verkaufen könnten. Es gibt genügend Interessenten - deshalb sollten wir auch neue Flächen ausweisen. Zugleich stellt sich allerdings die Frage: Warum wollen alle im Neubaubaugebiet in Einbeck wohnen? In Kohnsen zum Beispiel haben wir noch fünf oder sechs erschlossene Bauplätze. Von dort sind Sie mit dem Fahrrad schneller in Einbeck als vom Weinberg.

Heitmüller: Die Nachfrage ist da. Es wird immer Leute geben, die sagen: Ich möchte einen kleinen Garten haben, ich möchte Rasen mähen, ich möchte genug Platz haben, um meinen Grill aufzubauen. Auf der anderen Seite müssen wir aber auch dafür sorgen, dass das Zentrum nicht leerfällt. 

Wie sieht beim Ausweisen von Neubaugebieten ein fairer Kompromiss zwischen Kernstadt und Orten aus?

Heitmüller: Das lässt sich nicht pauschal beantworten. In Salzderhelden zum Beispiel wüsste ich nicht, wo man noch ein Neubaugebiet ausweisen sollte. Dassensen spielt gelegentlich mit dem Gedanken, zusätzliche Bauplätze zu schaffen. Rittierode wiederum ist besonders für Reiter attraktiv. Dort gibt es einige freie Flächen, die aber nicht zur Verfügung stehen, weil die Besitzer sie nicht verkaufen wollen. Das hat auch mit einem Versäumnis der Stadt zu tun. Wir hätten von Anfang an vorschreiben sollen, dass bestimmte Grundstücke innerhalb einer vorgegebenen Frist bebaut sein müssen.

Sölter: Ich sehe da ein allgemeines Problem. Unsere Vorgänger in der Kommunalpolitik haben zum Teil sehr kurzfristig gedacht. Viele Gebäude wurden vor 40 Jahren gebaut, aber dann wurde nicht mehr investiert. Jetzt fällt uns das vor die Füße.

Wo sehen Sie solche Versäumnisse?

Sölter: Ein gutes Beispiel ist das Schwimmbad in der Geschwister-Scholl-Schule. Oder auch das Oberstufengebäude der Goetheschule, für das inzwischen der Landkreis zuständig ist.

Heitmüller: Auch die Toiletten der Grundschule in Vogelbeck sind in einem katastrophalen Zustand. Eigentlich müsste wir die dringend sanieren. Die Frage ist allerdings: Muss das noch sein? Jetzt muss ich aufpassen, was ich sage…

Es ist kein Geheimnis, dass angesichts sinkender Schülerzahlen Grundschul-Standorte vor dem Aus stehen. Zuerst dürfte es Greene treffen, dann Wenzen…

Heitmüller: Das sind natürlich heilige Kühe. Als Politiker muss man sich erst einmal trauen, eine Schule zu schließen. Ich habe damals gegen Salzderhelden und für Vogelbeck als Standort der Grundschule gestimmt, weil es in Vogelbeck das bessere Gebäude gibt. Es hat mir nicht geschadet.

Noch einmal zurück zu den Baugebieten. Die Leerstandserhebung legt nahe, dass erst die Leerstände geschlossen werden müssen, bevor neue Baugebiete ausgewiesen werden. Ist das das richtige Prinzip?

Heitmüller: Sicherlich müssen wir uns bei der Ausweisung von Neubaugebieten mit dem Leerstand auseinandersetzen. Die Frage ist: Wie teuer wäre es, Hausbesitzer beim Umbau bestehender Gebäude zu unterstützen? Der Verkauf von Bauland spült in der Regel Geld in die Stadtkasse und ist damit immer noch die einfachste Art, Wohnraum zu schaffen.

Sölter:
Wenn man es so betrachtet, müssten wir eigentlich kräftig Baugebiete ausweisen. Aber ist das nachhaltig? Wir können es uns nicht wünschen, dass wir an den Rändern schöne Baugebiete haben und in der Innenstadt wohnt niemand mehr. Deshalb brauchen wir Fördermittel, die es attraktiver machen, sich in der Innenstadt ein Haus zu kaufen. Mit guter Beratung durch die Verwaltung. Allerdings sind wir da auf Unterstützung von oben angewiesen, denn als Kommune sind wir das kleinste Glied in der Kette.


Zum ersten Teil des Interviews: "Der Leerstand in den Ortschaften wird zunehmen"

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