Welche Politik braucht eine alternde Stadt?

Eine Kandidatin und zwei Kandidaten treten am 1. November zur Einbecker Bürgermeisterwahl an: Amtsinhaberin Sabine Michalek (CDU), Dirk Heitmüller (SPD) und Claudius Weisensee (FDP). Gleichgültig wer gewinnt – die Siegerin oder der Sieger wird für eine alternde und voraussichtlich schrumpfende Bevölkerung Politik machen. Dieser Beitrag stellt die wichtigsten Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei den Themen Leerstand, Neubaugebiete, Familienfreundlichkeit, Verwaltung und Gemeindefusionen gegenüber. Grundlage sind drei Interviews, die in diesem Blog erschienen sind.

Das Alte Rathaus in Einbeck - Herzstück einer alternden Stadt.

Leerstand:

Viele Räumlichkeiten in der Innenstadt sind ungenutzt – etliche Ehrenamtliche engagieren sich bereits gegen den Leerstand. Eine der politischen Fragen lautet: Was soll die Stadt zusätzlich unternehmen? Heitmüller kündigt an, das Leerstandsmanagement zur „Chefsache“ zu machen, Michalek will einen hauptberuflichen Leerstandsmanager bei der Verwaltung oder Einbeck Marketing ansiedeln  - finanziert über Fördermittel. Weisensee schlägt unter anderem vor, mehr öffentliche Dienstleistungen in der Innenstadt anzubieten. Einig sind sich die Kandidaten, dass die Einbecker Wohnungsbaugesellschaft (EWG) mehr Verantwortung übernehmen muss.

Michalek:

„Wir als Stadtverwaltung werden leider oft als Bedenkenträger wahrgenommen. Um das aufzubrechen, brauchen wir einen Leerstandsmanager, der zusammenbringt und Ideen vermittelt. Er oder sie müsste die Beteiligten an einen Tisch holen und sagen: Hier ist Herr oder Frau X. Was braucht es von wem, damit das Projekt umgesetzt werden kann?“
„Bei der Stadt stellen wir gerade eine Liste zusammen, um mit der Geschäftsführung der EWG zu besprechen, welche Gebäude in Frage kommen. Man darf aber nicht vergessen: Die Stadt Einbeck hält nur 20 Prozent. Letztendlich entscheidet der Aufsichtsrat darüber.“

Heitmüller:
„Das (Anm.: das Leerstandsmanagement) sehe ich bei der Verwaltung – als Teil der Wirtschaftsförderung. Wenn man überhaupt Unternehmen ansiedeln will, dann muss man einen Überblick haben und jede Anfrage sofort bedienen können. Man darf sich nicht erst auf die Suche machen, wenn die Anfrage kommt, sondern die Angebote für verfügbare Geschäftsräume aus der Schublade holen.“
„Vor allem die EWG sehe ich da stärker in der Pflicht. Anstatt Ausschüttungen an die Gesellschafter zu tätigen, sollte das Geld beispielsweise in eine Leerstands-Immobilie investiert werden, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.“

Weisensee:
„Als unmittelbar wirkende Maßnahme schlage ich vor, sämtliche öffentliche Dienstleistungen der Stadtverwaltung auch in der Innenstadt anzubieten. Denn durch die Zentrierung sogenannter Nutzungen des Alltags in der Innenstadt, wie zum Beispiel Bürgerbüro, Bauamt oder Kitas, die regelmäßig von Menschen angesteuert werden müssen, wird für eine stärkere Frequentierung der Einbecker Innenstadt gesorgt. Dafür kann das Alte Rathaus auf der Rückseite zum Hallenplan barrierefrei ausgebaut werden.“
„Als Tochtergesellschaft der Stadt sollte sie (Anm.: die EWG) natürlich in die strategischen Überlegungen und Ziele der Stadt eingebunden sein. Hierzu gehören der Erhalt und die Weiterentwicklung der historischen Bausubstanz.“

Ungenutzte Geschäftsräume in der Marktstraße.

Baugebiete:

Angesichts sinkender Einwohnerzahlen plädieren Michalek und Heitmüller für Zurückhaltung bei der Ausweisung von Neubaugebieten – in den meisten Ortschaften soll die Nutzung von Baulücken und Bestandsgebäuden Vorrang haben. Weisensee verweist auf einen Trend zur „Stadtflucht“ und will die Option Neubaugebiet grundsätzlich für alle Dörfer offen halten.

Michalek:
„Wir dürfen nicht den berühmten Donut schaffen – mit verfallenen Ortskernen und einem Ring von manchmal monoton wirkenden Neubaugebieten, in denen wir neue Infrastruktur schaffen und Flächen versiegeln. Wir müssen mit Land und Umwelt behutsamer umgehen als in der Vergangenheit. Für die Zukunft würde ich gern exemplarisch zeigen, wie man Ortskerne wieder in Wert setzen kann.“

Heitmüller:
„Wir müssen noch stärker Immobilien erfassen, die absehbar frei werden, weil die Besitzer ein gewisses Alter haben und keine Kinder, die die Häuser übernehmen. Momentan sind solche Häuser schneller weg vom Markt, als sie angeboten werden. Wenn ein Ortsbürgermeister eine Liste von zehn Interessenten hat, die nur in seinem Dorf bauen wollen, dann muss man natürlich auch dafür eine Lösung finden. Grundsätzlich wäre ich bei Bauplätzen auf Vorrat aber vorsichtig – ähnlich wie die Verwaltung. Wir sollten eher auf Lücken setzen, die es heute gibt. Und wir müssen dafür sorgen, dass das Wohnen in alten Ortskernen auch für kleines Geld attraktiv wird.“

Weisensee:
„Nicht jeder möchte in einem Fachwerkhaus oder in einem anderen Altbau wohnen. Viele schätzen die Modernität und den Komfort eines Neubaus oder wollen sich architektonisch selbst verwirklichen. Dafür braucht es Neubaugebiete. Die können überall dort entstehen, wo Flächen bereitstehen, die unproblematisch erschlossen werden können. Eine Festlegung auf bestimmte Ortschaften oder gar die Kernstadt wäre falsch. Vielmehr sollte die Ausweisung der Neubaugebiete dem Bedarf folgen.“


Familienfreundlichkeit:

Unterschiedliche Auffassungen vertreten die Kandidaten in der Frage, wie der wachsende Bedarf an Krippenplätzen gedeckt werden soll: Während Amtsinhaberin Michalek auf den Ausbau der vergangenen Jahre und die Planungen für die Kita Münstermauer verweist, fordert Heitmüller Neubauten. Weisensee setzt sich dafür ein, ungenutzte Geschäftsräume im Zentrum zu nutzen.

Michalek:
„Gerade hat die neue Gruppe in Iber eröffnet, sodass Einbeck über 165 Krippenplätze verfügt. Mit dem geplanten Kita-Neubau an der Münstermauer werden es 180 Plätze sein. Geplanter Start ist 2022. Wir rechnen damit, dass wir jedes Jahr rund die Hälfte der Plätze neu vergeben und ab 2022 etwa 40 Prozent eines Jahrgangs versorgen können.“

Heitmüller:

„Bedarf gibt es immer. Und ich sehe auch weitere Kindergärten, in denen man Krippengruppen schaffen kann. Nehmen wir den Kindergarten am Deinerlindenweg – der ist ähnlich alt und ähnlich gebaut wie der Kindergarten in Vogelbeck und damit ebenfalls reif für einen Neubau. Das sollten wir angehen und bei dieser Gelegenheit gleichzeitig neue Krippenplätze schaffen.“

Weisensee:
„Für die Schaffung von Krippenplätzen sollten leerstehende Läden in der Innenstadt umgenutzt werden, um gleichzeitig die Innenstadt zu beleben und Leerständen entgegenzuwirken. Neubauten braucht es nicht.“


Verwaltung:

Angesichts der bevorstehenden Ruhestandswelle sind sich alle Kandidaten einig: Das Rathaus muss an seiner Anziehungskraft als Arbeitgeber arbeiten, um genügend Ersatz für ausscheidende Mitarbeiter zu gewinnen. Weisensee will zudem ältere Beschäftigte überzeugen, länger im Dienst zu bleiben.

Michalek:
„Wir müssen uns anstrengen. Deshalb machen wir auch das Audit berufundfamilie, um uns als Arbeitgeber zu positionieren. Die Leute sollen sehen: Die Verwaltung ist gar nicht so verstaubt, sie bietet attraktive Arbeitsplätze. Man kann Verantwortung übernehmen und wird vielseitig gefordert. Gleichzeitig haben wir familienfreundliche Arbeitszeiten und können Homeoffice anbieten.“

Heitmüller:
„Die Verwaltung muss ihren Nachwuchs selbst ausbilden und hoffen, dass er an Bord bleibt. Ein Mittel, um das zu erreichen, sind flexible Arbeitszeiten und die Möglichkeit, bei Interesse im Homeoffice zu arbeiten.“

Weisensee:

„Die Stadt muss aktiv auf sozialen Netzwerken wie Xing, Facebook, Instagram etc. in einer jugendgerechten Sprache um den Verwaltungsnachwuchs werben.“ Argumente seien Krisenfestigkeit, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Altersversorgung, Fortbildungschancen und Work-Life-Balance. „Ich setze mich außerdem gerne mit den älteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Verwaltung zusammen, um über mögliche Modelle für eine freiwillige Verlängerung der Dienstzeit zu sprechen.“


Gemeindefusionen:

Braucht Einbeck nach dem Zusammenschluss mit Kreiensen weitere Partner? Nein, sagen Michalek und Heitmüller. Weisensee macht sich für eine Fusion mit Dassel stark.

Michalek:
„Das Zusammenwachsen mit Kreiensen war ein hartes Stück Arbeit und einige fühlen sich immer noch nicht ganz mitgenommen. Die einzigen Partner, die für eine weitere Fusion in Frage kämen, wären Dassel, Kalefeld oder Bad Gandersheim. Von dort gibt es aber keine konkreten Anfragen und ich habe die Fühler auch nicht ausgestreckt. Mit dem nächsten Schritt wäre das Stadtgebiet riesig.“

Heitmüller:
„Flächenmäßig gehört Einbeck schon jetzt zu den größten Kommunen in Niedersachsen. Wenn die Stadt noch weiter wächst, ist das irgendwann nicht mehr handhabbar. Unsere Aufgabe ist es nach wie vor, mit Kreiensen zusammenzuwachsen und den Kreiensern das Gefühl zu geben, dass sie zu Einbeck gehören.“

Weisensee:
„Ich halte eine Fusion mit der Stadt Dassel für sinnvoll. Denn Dassel und Einbeck verbindet historisch die gemeinsame Zugehörigkeit zum Altkreis Einbeck. Dassel ist wirtschaftlich gesund. Trotzdem können die wichtigen Zukunftsaufgaben am besten gemeinsam bewältigt werden bei geringeren Gesamtkosten der Verwaltung.“


Die kompletten Interviews gibt es hier:
 

„Wir brauchen einen großen Konsens, was am allerwichtigsten ist“‘

Zum Beitrag

Sabine Michalek,
Einzelbewerberin, unterstützt von der CDU 

 


„Ich baue lieber 12 Kindertagesstätten als ein Wissensquartier“

Zum Beitrag

Dirk Heitmüller,
Kandidat der SPD






„Ein Leben auf dem Land wird wieder attraktiver“


Zum Beitrag

Claudius Weisensee,
Kandidat der FDP, unterstützt von Bündnis 90/Die Grünen, „Gemeinsam für Einbeck“ (GfE) und Bürgerliste Kreiensen

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