„Sanierungsstau liegt nicht am Denkmalschutz“

Oft ist der Vorwurf zu hören: Der Denkmalschutz erschwert Eigentümern die Sanierung ihrer Fachwerkhäuser und trägt zum schlechten Zustand vieler Gebäude in der Einbecker Innenstadt bei. Im Interview erklären Baudirektor Joachim Mertens und Krimhild Fricke, in der Stadtverwaltung zuständig für Denkmalpflege, ihre Sicht der Dinge. Mertens: „Denkmalschutz und Bauaufsicht sind kompromissbereit – wir haben großes Interesse, dass die Häuser zeitgemäß genutzt werden.“ Fricke: „Es geht sehr oft um Einzelfallentscheidungen. Man muss sich fragen: Was macht das Denkmal zum Denkmal?“

Einbeck ist geprägt von mehr als 2.200 Baudenkmalen - so wie hier in der Marktstraße.

Trägt der Denkmalschutz eine Mitschuld am hohen Leerstand in der Einbecker Innenstadt?
Mertens: Ganz klar: Nein. Es stimmt, dass im Zentrum viele Flächen ungenutzt sind – aber das hat soziale und wirtschaftliche Gründe. Ein wichtiger Faktor ist beispielsweise die starke Konkurrenz durch den Online-Handel. Auch die Nutzungsgewohnheiten haben sich verändert. Das klassische Modell der 60er Jahre sah so aus, dass die Inhaber über ihren Geschäften wohnten. Das gibt es nur noch selten. In etlichen Gebäuden ist seit Jahrzehnten nicht investiert worden, sodass wir heute vor einem Sanierungsstau stehen. Das liegt aber nicht am Denkmalschutz.

Wie hoch ist der Anteil denkmalgeschützter Gebäude?
Mertens: Wir reden über rund 2.200 Baudenkmale in der Kernstadt und den Ortschaften. Diese Objekte stehen nach Paragraf 3 des Niedersächsischen Denkmalschutzgesetzes unter Denkmalschutz – sie dürfen nicht zerstört werden. Das bedeutet nicht, dass die Eigentümer sie nicht umbauen dürfen. Im Gegenteil: Denkmalschutz und Bauaufsicht der Stadtverwaltung sind kompromissbereit – wir haben großes Interesse, dass die Häuser zeitgemäß genutzt werden. Allerdings gibt es auch Dinge, die nicht genehmigungsfähig sind.

Baudirektor Joachim Mertens: „In etlichen Gebäuden ist seit Jahrzehnten nicht investiert worden.“

Welche Auflagen kommen in der Praxis am häufigsten vor?
Fricke: In den 60er Jahren wurden in vielen Häusern Kunststoff- oder Holzfenster ohne Unterteilung eingebaut. Das wird heute nicht mehr genehmigt, denn zur fachgerechten Sanierung eines Fachwerkhauses gehören Holzfenster mit einer Gliederung, in der Regel zweiflüglige Sprossenfenster. Ein anderes Beispiel ist die Behandlung der Balken. Früher wurden viele Balken mit einer diffusionsdichten Farbe gestrichen, ausgespritzt und gespachtelt, damit gibt es ein extrem hohes Risiko der Holzschädigung. Auch das ist heute nicht mehr zulässig, denn eventuell eindringende Feuchtigkeit muss die Hölzer auch wieder verlassen können.

Viele Nutzer wünschen sich großzügige Räume. Ist das in Fachwerkhäusern möglich?
Fricke: Bedingt. Beim Grundriss lassen sich durchaus Kompromisse finden – denn das Ziel muss sein, dass das Haus bewohnt wird. Es kommt aber auch vor, dass die Vorstellungen der Eigentümer grundsätzlich nicht zu einem alten Gebäude passen. Ein 40-Quadratmeter-Wohnzimmer ist in einem Fachwerkhaus nur im Ausnahmefall möglich. Tragende Wände und aussteifende Hölzer können nun einmal nicht entfernt werden. Dieser Fehler ist beispielsweise im Eickeschen Haus passiert, das dadurch zu kippen drohte.

Wieviel Spielraum für Zugeständnisse lässt das Denkmalrecht?
Fricke: Das ist pauschal nicht zu beantworten. Das Gesetz gibt einen groben Rahmen vor, legt aber kaum Details fest. Nehmen wir das Beispiel mit den Fenstern. Es steht nicht im Gesetz, dass man in ein Fachwerkhaus kein Kunststofffenster einbauen darf – es ergibt sich aber aus dem Kommentar zum Gesetz und aus Gerichtsurteilen. In der Praxis geht es sehr oft um Einzelfallentscheidungen. Man muss sich fragen: Was macht das Denkmal zum Denkmal?

Welche Wünsche sind problemlos zu realisieren?
Fricke: Ein gutes Beispiel sind vorgebaute Balkons. Die findet man in Einbeck an vielen Fachwerkhäusern. So etwas wird in aller Regel genehmigt, sofern die Balkons baulich vom Haus getrennt sind. Wenn jemand das Dachgeschoss als Wohnung nutzen will und Licht braucht, kommt häufig eine Gaube in Frage – das passt zu einem Denkmal. Große Dachflächenfenster können wir dagegen nicht genehmigen.

Denkmalpflegerin Krimhild Fricke zählt 500 geschützte Gewölbe. Sie sagt: „Es gibt gute Lösungen, die Keller zu erhalten.“

Es heißt, dass auch die denkmalgeschützten Keller neue Nutzungen erschweren. Wie groß ist das Problem?
Fricke: Es geht um rund 500 alte Gewölbe, die zum Teil älter sind als die Häuser selbst. Diskussionen gibt es meist dann, wenn ein Gebäude verschwindet – so wie es an mehreren Stellen durch Brände geschehen ist. Dann taucht oft der Wunsch auf, das Grundstück einzuebnen und auf ebener Fläche neu zu bauen. Auch dabei sind wir zu Kompromissen bereit. Allerdings gibt es gute Lösungen, um die Keller zu erhalten – etwa mit einer Rampe, mit der sich 20 oder 30 Zentimeter leicht überbrücken lassen.

Große Teile der Innenstadt fallen in das Förderprogramm Städtebaulicher Denkmalschutz. Reicht die Unterstützung nicht aus?
Mertens: Die Fördertöpfe sind offen. Grundsätzlich können daraus alle Ausgaben bezahlt werden, die sich für die Eigentümer nicht rentieren –  wenn durch die spätere Miete die Aufwendungen nicht gedeckt sind. Voraussetzung für die Förderung ist, dass Hausbesitzer vor Beginn der Arbeiten einen Sanierungsvertrag mit der Stadt Einbeck schließen. Leider ist die Förderung auf das Sanierungsgebiet Neustadt – Möncheplatz beschränkt. Es ist bedauerlich, dass nicht die komplette Innenstadt dazu gehört.

Welche Möglichkeiten haben Hausbesitzer außerhalb des Sanierungsgebiets?
Mertens: Jede Investition in den Erhalt eines denkmalgeschützten Gebäudes ist steuerlich absetzbar.

Geschäftsleute berichten, dass die Sanierungskosten für Fachwerkhäuser teils jenseits der Millionen-Grenze liegen. Ist das die Ausnahme oder die Regel?

Mertens: Das kommt auf den Einzelfall an. Aber stellen wir uns ein großes Fachwerkhaus vor: 160 Quadratmeter im Erdgeschoss, 160 Quadratmeter darüber, dazu der Dachboden. Da ist man schnell im sechsstelligen Bereich. Bei solchen Summen kommen viele Eigentümer an ihre finanziellen Grenzen – gerade wenn sie alt sind und nur noch schwer einen Kredit bekommen. Eventuell müssen sich diesbezüglich die Strukturen ändern. Ein möglicher Lösungsansatz wäre es beispielsweise, wenn sich Eigentümer und engagierte Bürger zusammentun und gemeinsam die Sanierung der Gebäude angehen. Eine andere Chance sehe ich in dem Trend zum Leben auf dem Land. Das könnte Menschen anziehen, die gern in einer Kleinstadt und im Fachwerk leben möchten – und entsprechend investieren.



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